Baustelle eines Supermarktes
Neuwidmungen sind aus Sicht des Gemeindebundes nicht das eigentliche Problem. Das viel größere Problem stellen die überwiegend „jahrzehntealten“ Baulandreserven dar.
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Positionspapier zum Thema Bodenverbrauch

15. September 2021
Der Bundesvorstand des Österreichischen Gemeindebunde stellte seine Ansicht zum Thema Flächenverbrauch dar.

Raumordnung und Flächenwidmung sind die zentralen Themen für die österreichischen Gemeinden. Die Gestaltung des gemeinsamen Lebensraumes ist die wesentlichste Aufgabe der Gemeinschaft vor Ort. Bürgerinnen und Bürger entscheiden über ihre direkt gewählten politischen Vertreterinnen und Vertreter mit, wie sich die Gemeinde entwickeln soll.

In den letzten Wochen und Monaten hat sich die Diskussion zum Thema Raumordnung und Flächenwidmung in eine Richtung entwickelt, die aus kommunaler Sicht nicht verständlich ist. Argumentiert wird, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister würden selbstherrlich und willkürlich Entscheidungen treffen, bzw. seien mit dieser Aufgabe überfordert. Vergessen wird dabei, dass es in allen Bundesländern Raumordnungsgesetze gibt, die einen klaren Rahmen vorgeben. Nicht nur an die Gesetze sind also die Gemeinden gebunden, sondern jede Widmung bedarf der Genehmigung des Landes. Die Gemeinden sind bei der Flächenwidmung daher an enge Vorgaben gebunden.

Klar ist weiters, dass sich in den letzten Jahren schon viel getan hat. Die Raumordnungsgesetze in den Bundesländern wurden verschärft und die Bürgerinnen und Bürger sind gemeinsam mit ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den Gemeinderäten heute sensibler, als vor 30 Jahren. So hat sich der jährliche Bodenverbrauch seit 2010 halbiert und der Weg zum 2,5 Hektar Ziel bis 2030 ist bereits eingeschlagen. Heute ist es undenkbar riesige Einkaufszentren auf die grüne Wiese zu stellen.

Die eigentlichen Probleme stellen auch nicht Neuwidmungen dar. Hier gibt es durchaus – zwar verbesserungswürdige – Instrumente, um die Widmungen auch zum Nutzen der Gemeinden und ihrer Bürger zu realisieren, wie z. B. mit der Vertragsraumordnung oder mit befristeten Widmungen.

Das viel größere Problem stellen die überwiegend „jahrzehntealten“ Baulandreserven dar. Dabei handelt es sich um gewidmetes aber nicht verfügbares Bauland im Privatbesitz. Im Jahr 2017 war knapp ein Viertel des gewidmeten Baulandes in Österreich nicht bebaut. Gleichzeitig stehen laut Schätzungen des Umweltbundesamtes rund 40.000 Hektar an ehemaligen Industrie- und Gewerbeflächen sowie Wohnimmobilien leer, weil sich niemand für die Entwicklung und Reaktivierung findet.

Schuld daran sind zahlreiche Faktoren. Das reicht von überbordenden Bundesgesetzen, die einen Abbruch verteuern, über Spekulation bis hin zu fehlenden Instrumenten in den Gemeinden, um Leerstände in den Ortskernen zu bekämpfen. Verdichtung und Baulandmobilisierung sind die Schlagworte, die oftmals als „einfache“ Antworten von oben in die Debatte geworfen werden, die aber für sich allein wenig erfolgversprechend sind.

Neben der derzeitigen fiskalpolitischen Lage führt all dies zur Verknappung von verfügbarem Bauland und damit zu steigenden Grundstückspreisen. Die einheimische Bevölkerung kann sich Grundstücke nicht mehr leisten und ist zur Abwanderung gezwungen. Auch in den urbanen Räumen klagt man genauso über nicht mehr leistbaren Wohnraum.

Aufgrund der anhaltenden öffentlichen Debatten zum Thema Raumordnung und Flächenwidmung hat der Bundesvorstand des Österreichischen Gemeindebundes in seiner Sitzung im Rahmen des 67. Österreichischen Gemeindetages am 15. September 2021 in Tulln folgende Positionen beschlossen:

Die Raumordnungs- und Flächenwidmungskompetenz ist und bleibt hoheitliches Recht der Gemeinden.

Im Rahmen der Selbstverwaltung besorgen die Gemeinden in enger Abstimmung mit den Raumordnungsabteilungen der Länder auch weiterhin die Entwicklung des gemeinsamen Lebensraumes. Die Gemeinschaft und der Gemeinderat vor Ort haben auch in Zukunft - nach klaren gesetzlichen Vorgaben - die Entscheidungshoheit, wie und wo sich die Gemeinde weiterentwickeln soll.

Die österreichischen Gemeinden bekennen sich dazu, mit Grund und Boden behutsam im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger umzugehen.

Wenngleich immer wieder verschiedene Zahlen in den Medien kolportiert werden und die Rede davon ist, dass täglich mehr als 11,5 Hektar Fläche „zubetoniert werden“ (tatsächlich handelt es sich um die gesamte tägliche Flächeninanspruchnahme – darunter fällt auch ein Freizeitpark oder ein neu errichteter Golfplatz), ist allen Gemeinden bewusst, dass mit dem Grund und Boden behutsam umgegangen werden muss.

Die Gemeinden stehen für den Erhalt der Produktivität der landwirtschaftlichen Flächen, für Biodiversität und für Maßnahmen, um erhöhtes Hochwasserrisiko und Hitzeeffekte abzuwehren oder zu mildern. Die Gemeinden schaffen gleichzeitig aber auch Wohnraum, Arbeitsplätze und Betriebsstandorte für die Menschen. Die österreichischen Gemeinden wissen um dieses Spannungsfeld zwischen Wohnen, landwirtschaftlicher Produktion, Wirtschaft und Erholung. Es braucht dabei ein ausgewogenes Mittelmaß, sodass der ländliche Raum und seine Bewohner auch in Zukunft Entwicklungschancen haben.

Der Österreichische Gemeindebund fordert vom Landes- und Bundesgesetzgeber sinnvolle und geeignete Instrumente, um Brachflächen, Leerstände und ungenutztes Bauland zu mobilisieren.

Anstatt strikte Obergrenzen zur Flächeninanspruchnahme in Gesetzen festzulegen, sollten den Gemeinden zunächst sinnvolle und geeignete Instrumente eines aktiven Flächenmanagements in die Hand gegeben werden (zum Beispiel: rechtssichere Vertragsraumordnung, Vorkaufsrechte für Gemeinden, eine Reform der Grundsteuer usw.). Weiters müssen seitens des Bundes finanzielle Anreize zur Wiedernutzung von Brachflächen geschaffen werden (zum Beispiel: Steuerboni, Befreiung von Altlastensanierungsbeiträgen usw.). Und schließlich braucht es auch funktionierende Maßnahmen zur Bauland- und Leerstandsmobilisierung, sowie zur Ortskernverdichtung (Zum Beispiel: Steuern und Abgaben auf leerstehende nicht vermietete Wohnungen sowie auf längerfristig gehortete Grundstücke im Bauland bzw. attraktive Förderungen für Ortskernverdichtungen usw.).

Der Österreichische Gemeindebund fordert den Bund auf, für ein einheitliches Datenmaterial im Zusammenhang mit dem Flächenverbrauch zu sorgen.

Immer wieder kursieren unterschiedliche Zahlen und Daten bezüglich der täglich „tatsächlich“ verbrauchten Flächen. So haben Medien kürzlich berichtet, dass im Flächenbundesland Oberösterreich täglich 1 Hektar Boden verbraucht wird. Österreichweit sollen 11,5 Hektar täglich versiegelt werden.
Für Verhandlungen und Beratungen, wie etwa für die Österreichische Raumordnungskonferenz, muss es daher ein einheitliches und differenziertes (zum Beispiel: voll versiegelte Flächen, Gartenflächen, Parkflächen usw.), sowie von allen akzeptiertes Datenmaterial geben.