Innovation durch Interaktion — miteinander sprechen, voneinander lernen
Freude und Lust am Reisen sind ungebrochen. Langzeitfolgen der COVID-19 Pandemie, hohe Inflation und weniger verfügbares Einkommen, lassen Tourist:innen jedoch genauer hinschauen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Mehr denn je zuvor befinden sich Regionen in einem Wettbewerb, die Buchungsentscheidung der Tourist:innen für sich zu gewinnen.
Es braucht innovative Produkte und Angebote, um der Nachfrage am Reisemarkt bestmöglich zu begegnen und touristische Anbieter müssen Tourist:innen das gewisse Extra bieten, das es anderenorts nicht gibt.[1] Oftmals ist das Know-how hierfür jedoch begrenzt und touristische Anbieter sind vielfach durch ihr Tagesgeschäft ausgelastet. Wie soll dann noch Kreativität, Ideenreichtum und Innovation entstehen?
Innovation als Treiber für Wettbewerbsfähigkeit
Innovation ist ein kritischer Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben und Regionen und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Betriebe in einer Region trägt nicht nur positiv zur wirtschaftlichen Entwicklung des jeweiligen Betriebs bei, sondern wirkt sich in Summe auch positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Region aus.
Innovative Betriebe sind wettbewerbsfähiger und können flexibler und agiler auf Veränderungen im Marktumfeld reagieren. Je höher das vorhandene Wissen innerhalb des Betriebs, desto innovativer ist der Betrieb—eine hohe Innovationsfähigkeit im Betrieb wirkt sich also positiv auf die Performance aus.[2]
Im Vergleich zu hoch technisierten Branchen findet im Tourismus Innovation vielfach im Tun, in der Anwendung und in der Interaktion statt, wobei auch informelle Lernprozesse und erfahrungsbasiertes Wissen einen zentralen Stellenwert einnehmen.[3]
Mitarbeitende als Schlüsselfiguren
Die Tourismusbranche ist eine sehr praxisorientierte und personalintensive Branche, in der erfahrungsbasiertes Lernen relevanter ist als in anderen Branchen und die Mitarbeitenden eine zentrale Rolle für Innovation spielen.[4] Damit entwickelt sich die Tourismusbranche zunehmend zu einer wissensbasierten Branche, deren Entwicklungspotenzial vom angesammelten Wissen der Mitarbeitenden abhängt.[5] Doch wie kommen diese zu ihrem Wissen?
Fehlende Qualifikationen von Mitarbeitenden in der Tourismusbranche stellen eines der Haupthindernisse für die Verbesserung der touristischen Servicequalität und die Erhöhung der Innovationsfähigkeit von touristischen Betrieben dar. Neben fachlichen Skills, die unmittelbar für die Erledigung der Arbeitsaufgaben notwendig sind, müssen Mitarbeitende vor allem auch über allgemeine Skills verfügen, wie etwa Kreativität, lösungsorientiertes Denken und Handeln, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Eigeninitiative.[6]
Interaktion als Ausgangspunkt
Touristische Anbieter eignen sich ihr Wissen insbesondere durch Beobachtung, Imitation, Mitarbeitendenmobilität und Austausch mit anderen Betrieben an.[7] Damit ist Interaktion im Tourismus ein zentraler Bestandteil für mehr Innovation. Mitarbeitende spielen hierbei eine ganz zentrale Rolle, da diese in direktem Kontakt mit verschiedensten Akteuren sind und aus diesen Interaktionen innovative Ideen entstehen können.
Durch die Steigerung der Innovationsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden, können touristische Betriebe die Interaktionsmomente mit den verschiedenen Akteuren gewinnbringender für sich nutzen, um zu verstehen, wie Produkte und Prozesse noch besser aufgesetzt und gestaltet werden können. Wie können Interaktion und Wissensaustausch allerdings initiiert und gefördert werden? Die Schaffung eines Innovationsnetzwerks stellt einen geeigneten Ansatz hierfür dar.
Austausch durch Netzwerke: Lokal, regional, national, europäisch, international
Unter Netzwerk wird die Schaffung einer Struktur verstanden, die sich als externe Ressource an lokale Betriebe wendet, damit diese ihre Innovationsfähigkeit durch Teilhabe an dem Netzwerk steigern können. Damit fungiert das Netzwerk als Wissensmultiplikator, das über die Netzwerkstruktur verschiedene KMU erreicht und diese mit erforderlichem Wissen zur Steigerung ihrer Innovationsfähigkeit versorgt.
Auf Grund ihrer begrenzten Mittel sind KMU für Zugang zu Wissen, Lernen und Entwicklung oftmals von externen Quellen abhängig.[8] Die Schaffung eines Innovationsnetzwerkes stellt eine geeignete Maßnahme dar, um diesen strukturellen Herausforderungen zu begegnen und als Wissensmultiplikator den KMU die notwendigen externen Ressourcen bereitzustellen.[9]
Für den Erfolg eines Innovationsnetzwerkes ist es wichtig, Struktur und Angebot von vornherein an den Bedürfnissen der touristischen Betriebe auszurichten, den Wissensfluss innerhalb des Netzwerkes zu gewährleisten und eventuell bereits bestehende informelle Strukturen in der Branche zu berücksichtigen und mit zu integrieren, was ebenfalls zu Lernprozessen und Innovation führen kann.[10]
Innovationsnetzwerke sollten dabei nicht nur lokal und regional, sondern vor allem auch überregional, national, europäisch und international gedacht und aufgesetzt werden. Die hierdurch entstehende Diversität ist eine wertvolle Ressource, denn im Austausch mit anderen Betrieben wird gelernt; je bunter das Netzwerk, desto kreativer der Austausch und innovativer die Ideen.
Vom Mitbewerber zum Co-Creator: Gemeinsam lernen & profitieren
Die Annahmebereitschaft für ein solches Innovationsnetzwerk als externe Maßnahme zur Steigerung der Innovationsfähigkeit ist vonseiten der Betriebe dann vorhanden, wenn sie darin ihren eigenen Nutzen klar erkennen.[11] Ein solcher Nutzen sollte dabei sowohl auf der Netzwerkebene als auch auf der Firmenebene erkennbar sein.[12]
Durch die Wissensvermittlung und Zusammenarbeit verschiedener touristischer Anbieter an der Destination können gemeinsam etwa regionale Tourismusprodukte entwickelt und vermarktet werden.[13] Der Dialog der touristischen Anbieter untereinander ermöglicht auch, dass branchenspezifische Probleme an der Destination zusammen erörtert werden können, um gemeinsam eine Lösung hierfür zu entwickeln, etwa hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Fachkräftemangel oder Umweltthemen—oder mehr noch: wenn sich Regionen auf Grund des Klimawandels neu aufstellen müssen.[14]
Das Innovationsnetzwerk kann den lokalen Betrieben auch Zugang zu internationalen Partnern und Themen verschaffen und damit eine zusätzliche relevante Quelle für Information und Innovation darstellen. Zusätzlich können auch branchenexterne Akteure in das Netzwerk mit einbezogen werden und aus der Schnittmenge mit anderen Branchen können zusätzliche Ideen für Innovation resultieren.[15] Dies ist ein klarer Nutzen, der das Netzwerk für die lokalen Betriebe relevant macht; denn Betriebe, die nicht nur lokal vernetzt sind, sondern auch Zugang zu internationalen Kontakten haben, sind mithin innovativer.[16]
Digital? Na klar!
Innovationsnetzwerke sollten vor allem digital gedacht werden, denn Austausch soll auf verschiedenen Ebenen stattfinden und damit nicht nur lokal und regional, sondern auch überregional, national, europäisch und international—dies erfordert einen digitalen Zugang.
Allerdings fehlt es kleinen Betrieben hinsichtlich digitaler Technologien teilweise an notwendigem Wissen und Verständnis und die Innovationsfähigkeit eines Betriebs hängt insoweit auch von der vorhandenen digitalen Infrastruktur und dem digitalen Wissen innerhalb des Betriebs ab.[17] Innovationsfähigkeit in einer zunehmend digitalen Welt verlangt demnach, dass die Mitarbeitenden mit digitaler Kompetenz befähigt werden, um das breite Angebot von digitalen Technologien für sich bestmöglich nutzen zu können und an Innovationsnetzwerken teilzuhaben.[18]
Dies kann durch lokale, regionale und überregionale Angebote gefördert werden, etwa in Form von Coachings, Schulungen oder Trainings. Dabei können solche Maßnahmen bereits zur Identifikation touristischer Betriebe dienen, die Interesse an der Schaffung eines Innovationsnetzwerkes haben.
Wo beginnen?
Es gibt viele Möglichkeiten ein Innovationsnetzwerk zu starten und der Grad der Formalität und Institutionalisierung ist stark situationsabhängig. Angefangen von einer informellen WhatsApp-Gruppe lokaler touristischer Betriebe, in der zur Vermeidung von Essensmüll Zutaten gepoolt und gemeinsam genutzt werden, über eine regelmäßige Stammtischrunde bis hin zu hybriden und reinen Online-Formaten sind sämtliche Netzwerkstrukturen denkbar.
Damit kann jede:r im Tourismus ein Innovationsnetzwerk starten und informell beginnen, denn gerade auch informeller Austausch kann zu kreativen Ideen und wertvollen Innovationen führen. Läuft das Netzwerk gut, kann über entsprechende Formalisierung und Institutionalisierung nachgedacht werden; dies ist jedoch nicht von Anfang an notwendig.
Weitere Startpunkte können Partnerstädte, Partnerregionen und Partnerländer sein, genauso wie bestimmte touristische Themen und Motive, wie beispielsweise Kultur, Kulinarik, Wein, Wellness, o.ä., um die herum dann die Schaffung eines Innovationsnetzwerkes angeregt wird. Insbesondere für Fremdenverkehrsämter, Tourismusverbände, Destinationsmanagementorganisationen und Ortsvorsteher:innen bieten solche Netzwerke eine spannende Möglichkeit, die Sichtbarkeit für die eigene Region zu erhöhen und gleichzeitig Ideen für die weitere Tourismusentwicklung zu erhalten.
Literatur
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[1] ADB & UNWTO, 2022; World Bank, 2020
[2] Durán-Sánchez et al., 2019; Martínez-Pérez et al., 2015; Palacios-Marqués et al., 2015
[3] Jensen et al., 2007; Nordin & Hjalager, 2017; Parrilli & Radicic, 2021
[4] Nordin & Hjalager, 2017
[5] Sharafutdinov et al., 2020
[6] UNESCO, 2018
[7] Weidenfeld et al., 2010
[8] Erkuş-Öztürk, 2010
[9] Gomezelj Omerzel, 2016; Marasco et al., 2018; Weidenfeld, 2013
[10] Gomez-Morantes et al., 2022; Pechlaner et al., 2005; Weidenfeld, 2013
[11] ILO, 2021
[12] European Center for Digital Competitiveness, 2020
[13] Sharafutdinov et al., 2020
[14] Espeso-Molinero et al., 2016; Hernández Esquivel et al., 2021
[15] Martínez-Pérez et al., 2015; WTTC & Oxford Economics, 2021
[16] Erkuş-Öztürk, 2010
[17] ILO, 2021; Racherla et al., 2008
[18] ILO, 2021; UNCTAD, 2021