© Bruno Haberzettl

Das Bürgermeisteramt: Ein Job im sozialen Out

1. Juli 2006
Eine Studie des prominenten Arbeits- und Sozialrechtlers Univ. Prof. Dr. Wolfgang Mazal zeigte erstmals mit wissenschaftlicher Präzision, was Österreichs Gemeindebürger erkennbar zu schätzen wissen und was Österreichs Kommunalpolitiker seit damals immer stärker belastet: Die sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung der Bürgermeister und vieler hauptverantwortlicher kommunaler Funktionäre stand längst in keinem Verhältnis mehr zum zeitlichen Aufwand, zur menschlich-psychologischen Anforderung und zum erforderlichen Standard in Fragen des Managements, der öffentlichen Verwaltung, der Finanzen und der gesetzlichen Bestimmungen. Und daran hat sich auch heute nur unwesentliches gebessert.

KOMMUNAL 7&8/2006, von Mag. Nadja Tröstl und Mag. Hans Braun

Gemeindebundpräsident Bgm. Helmut Mödlhammer fasste zu Beginn der Präsentation die Beweggründe des Gemeindebundes zusammen, so eine Studie überhaupt anfertigen zu lassen. Immerhin legten dafür 910 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auf einem sieben Seiten langen Fragebogen ihre soziale Situation offen. „Den österreichischen Gemeinden fällt es zunehmend schwer, geeignete Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters zu gewinnen“, so Mödlhammer. „Der hohe zeitliche Aufwand, die schlechte soziale Absicherung und ständig steigende Aufgaben für die Gemeinden sind die Hauptmotive, die viele Menschen dieses Amt nicht mehr anstreben lassen“. Deswegen hat der Österreichische Gemeindebund im Frühjahr den prominenten Arbeits- und Sozialrechtler Univ. Prof. Dr. Wolfgang Mazal mit der Erstellung einer Studie „Die soziale Situation von Österreichs Bürgermeistern“ beauftragt. Ein weiterer Grund für die geringe Begeisterung dieses Amt anzustreben liegt in der mangelnden sozialrechtlichen Absicherung der Gemeinde-Chefs. So gäbe es aus der Bürgermeister-Tätigkeit allein keinen Pensionsanspruch, keine Arbeitslosenversicherung, kein Minimalmaß an sozialen Rechten, wie sie ansonsten jeder Arbeitnehmer genießt. Dies sei für viele ein gewaltiges Hemmnis, vor allem deshalb, weil die meisten Kandidaten ja auch eine Familie zu ernähren hätten, kritisierte Mödlhammer. Die ständig steigenden Aufgaben einer Gemeinde belasten zudem hauptsächlich die Gemeinde-Oberhäupter. Der Bürgermeister sei vom obersten Repräsentanten seiner Gemeinde zum Manager, Beichtvater, Psychologen, Behördenleiter und „Mädchen für Alles“ geworden“

Studie ist repräsentativ

Ein standardisierter Fragebogen wurde im Mai 2006 an alle 2.358 österreichischen Bürgermeister versandt, die Rücklaufquote war mit 910 Fragebögen (= 38 Prozent) trotz der knappen Rücklaufzeit (zehn Tage) außerordentlich hoch. Die Studie ist insofern repräsentativ für ganz Österreich, als dass die Rücklaufquote ausreichend ist und die regionale Verteilung des Rücklaufs der regionalen Struktur Österreichs entspricht: Der Rücklauf betrug aus Niederösterreich 24 Prozent, aus dem Burgenland sieben, aus Oberösterreich 16, aus der Steiermark 24, aus Kärnten fünf, aus Salzburg sieben, aus Tirol elf und aus Vorarlberg vier Prozent des Gesamtrücklaufs. Auch hinsichtlich der Gemeindestrukturen ist der Rücklauf repräsentativ: 23 Prozent des Rücklaufs erfolgten aus Gemeinden bis 1.000 Einwohnern, 37 Prozent aus Gemeinden zwischen 1.001 und 2.000 Einwohnern, 28 aus Gemeinden zwischen 2.001 und 5.000 Einwohnern und elf Prozent aus Gemeinden über 5.000 Einwohnern. 16 Prozent des Rücklaufs kamen aus Tourismusgemeinden, 53 Prozent aus Gemeinden, die nach Einschätzung des Bürgermeisters ländlichen Charakter hatten, 19 Prozent der Befragten bezeichneten ihre Gemeinde als Pendlergemeinde. Elf Prozent charakterisierten ihre Gemeinde anders, nämlich als Kulturstadt, Einkaufsstadt oder Industriegemeinde.

Die Einkommenssituation

Die einzelnen Landesgesetzgeber haben hinsichtlich der Brutto-Bezüge ihrer Gemeindefunktionäre teilweise sehr unterschiedliche Regelungen getroffen. Die Mehrzahl der Länder legt einen bestimmten Prozentsatz des jährlich valorisierten Ausgangsbetrags (2006: € 7.905,20) für Bürgermeister, jeweils in Abhängigkeit von der Größe der Gemeinde, fest. In Vorarlberg sind die Bezüge von der jeweiligen Gemeinde selbst festzusetzen. Allerdings ist vorgesehen, dass die Landesregierung für vergleichbare Gruppen von Gemeinden Beträge festzusetzen hat, die die Gemeinden bei Festsetzung der Bezüge der Bürgermeister nicht unter- und nicht überschreiten dürfen.

Hohe Bildungsstufe

Bürgermeister gehören den höheren Bildungsstufen in höherem Ausmaß an als der Durchschnitt der Bevölkerung. 65 Prozent weisen als höchste Ausbildung den Abschluss einer Pflichtschule, Lehre oder Fachschule auf, 20 Prozent haben Matura und 15 Prozent sind Akademiker. Zum Vergleich: Die Durchschnittswerte für die Wohnbevölkerung Österreichs betragen 76,2 (Pflichtschule, Lehre, Fachschule), 14,3 (Matura), 9,5 (Hochschule und verwandte Lehranstalten). Innerhalb der männlichen Bevölkerung (der die Bürgermeister zu 90 zugehören) zwischen 50 und 60 Jahren betragen die Durchschnittswerte 77,5 (Pflichtschule, Lehre, Fachschule), 10,9 (Matura), 11,6 (Hochschulen und verwandte Einrichtungen). Das Ausbildungsniveau der Bürgermeister ist somit etwas höher als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Berufliche Lebenswelt

Die zeitliche Belastung durch die Erwerbsarbeit neben der Bürgermeisterfunktion pro Woche beträgt im Mittelwert 33,89 Stunden. Auffallend auch hier wieder die regionale Schichtung: Während im Burgenland die zeitliche Belastung alleine für die Erwerbsarbeit schon relativ hoch ist (35 Stunden im Mittel), beträgt sie in Vorarlberg nur 26,17 Stunden im Mittel. Bei Bürgermeistern kleinerer Gemeinden ist die Belastung durch die Erwerbsarbeit deutlich höher (37,6 Stunden bei Gemeinden unter 1.000 Einwohnern) als bei Bürgermeistern größerer Gemeinden (27,92 Stunden bei Gemeinden über 5.000 Einwohnern) was umgekehrt Proportionalität der Belastung durch die Bürgermeistertätigkeit entspricht.

Frühere Erwerbstätigkeit

Vor der Berufung in das Amt waren Bürgermeister zu über 34 Prozent im Bundes- Landes- und Gemeindedienst oder bei Interessenvertretungen tätig, 23 Prozent als Unselbständige in der Privatwirtschaft und 34 als Selbständige (Unternehmer und Landwirte). Dabei ist auffallend, dass der Anteil der im Gemeindedienst beschäftigten Bürgermeister bei den unter 45-jährigen signifikant höher ist als bei den anderen Altersgruppen.

Die Akzeptanz in der Bevölkerung

Für die Lebensqualität von hoher Bedeutung im Alltag ist die Akzeptanz im unmittelbaren Lebensumfeld. Diese ist durchwegs gegeben: Durch die Gemeinderäte erfahren die Bürgermeister insgesamt hohe Anerkennung: 75 Prozent fühlen sich sehr gut und gut akzeptiert; auch von den Gemeindebürger/innen sehen sich 83 Prozent anerkannt. Eine Detailanalyse zeigt freilich, dass diese Beurteilungen keineswegs homogen sind; jüngere Bürgermeister und Bürgermeister mit kürzerer Amtsdauer fühlen deutlich geringere Akzeptanz im Gemeinderat und bei den Gemeindebürger/innen.

Die Amtsdauer

Die Bürgermeister üben ihre Tätigkeit zum überwiegenden Teil seit zwischen fünf und neun Jahren aus (25 Prozent); elf Prozent sind erst weniger als zwei Jahre und 20 Prozent länger als 15 Jahre im Amt. Die Dauer der bisherigen Amtsausübung ergibt ein klares Bild: Während die unter 45-jährigen Personen tendenziell erst kürzer im Amt sind, amtieren die über 60-jährigen zu 49 Prozent bereits länger als 15 Jahre.

Die zeitliche Belastung

In zeitlicher Hinsicht wenden nur zwölf Prozent der Bürgermeister weniger als 20 Wochenstunden für ihr Amt auf; 20 Prozent wenden 20 Stunden auf, 28 Prozent der Bürgermeister arbeiten in ihrer Funktion zwischen 20 und 30 Stunden und weitere 20 Prozent der Bürgermeister widmen sich ihrer Funktion zwischen 30 und 40 Stunden pro Woche. Acht Prozent arbeiten zwischen 40 und 50 Stunden pro Woche als Bürgermeister und immerhin noch elf Prozent mehr als 50 Wochenstunden. Der Mittelwert beträgt 32,79 Stunden pro Woche. Dabei fällt auf, dass die Belastung bei männlichen und weiblichen Bürgermeistern inhomogen ist, dass sie jedoch relativ unabhängig davon ist, wie lange der Bürgermeister im Amt ist. Dass die zeitliche Belastung unmittelbar mit der Einkommenshöhe aus der Bürgermeistertätigkeit und der Gemeindegröße korreliert, ist nahe liegend. Warum die zeitliche Belastung aus der Bürgermeistertätigkeit mit steigendem Gesamteinkommen des Bürgermeisters zurückgeht, lässt sich möglicherweise damit erklären, dass die Spitzenverdiener unter den Bürgermeistern auch eher Synergien zwischen sonstiger beruflicher Tätigkeit und Bürgermeisteramt sehen, und dass die Unterstützung durch Mitarbeiter und im Gemeinderat bei diesen Bürgermeistern größer sein dürfte als in anderen Gemeinden. Auffallend ist weiters, dass die zeitliche Belastung der Bürgermeister regional unterschiedlich ist: Während sie im Burgenland im Mittel 26,39 Stunden pro Woche beträgt, liegt sie in Niederösterreich, Steiermark, Tirol und Kärnten zwischen 31 und 32 Stunden, in Salzburg hingegen bei 41 und in Vorarlberg sogar bei fast 48 Stunden pro Woche. Dieser Unterschied kann angesichts des Werts für Tirol nicht alleine durch den Anteil an Tourismusgemeinden in einem Bundesland erklärt werden.

Sozialrechtliche Defizite beim Bürgermeisteramt

Die sozialrechtliche Analyse hat gezeigt, dass die Rechtsregeln für Bürgermeister strukturelle soziale Defizite in der Einkommensersatzleistung aufweisen: Sowohl bei Krankheit als auch Arbeitsunfällen ist die soziale Absicherung mangelhaft, weil die Versicherung nach dem BKUVG keine Einkommensersatzleistung kennt und nicht alle Länder ausreichenden Einkommensersatzleistung vorsehen. Ähnliches gilt für den Fall der Arbeitslosigkeit, weil Gemeindemandatare auf Grund ihrer Tätigkeit nicht arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt sind. Für den Fall, dass ein Bürgermeister nach dem Ende seiner Funktion keine zumutbare Beschäftigung findet und nicht auf Grund anders erworbener Anwartschaften Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen kann, besteht eine Absicherung lediglich durch die Sozialhilfe. Hier könnte entweder durch eine bundesgesetzliche Einbeziehung der Bürgermeisterentschädigung in die Arbeitslosenversicherungspflicht oder durch die landesgesetzlichen Surrogatregelungen analog zur Arbeitslosenversicherung Abhilfe geschaffen werden. Bedenklich ist, dass es die Bürgermeister trotz ihres eigenen Engagements für schwierig halten, in Zukunft kompetente Funktionsträger zu gewinnen. Dabei sollte vor allem zu denken geben, dass eine befriedigende persönliche Gesamtsituation eher bei Bürgermeistern zu erkennen ist, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, und dass die Gesamtzufriedenheit bei den Funktionsträgern deutlich vom Einkommen abhängt.
Auch diese Facette der subjektiven Einschätzung ist objektiv nachvollziehbar: Zum einen ist innerhalb der Einkommenspyramide, die durch die bezügerechtlichen Regelungen geschaffen wurde, nicht erklärbar, warum der Verantwortung der Bürgermeister als Individualorgane innerhalb der Einkommenspyramide nicht durch eine adäquate Entlohnung Rechnung getragen wird. Hier drängt sich vor allem im Vergleich zu den Mitgliedern gesetzgebender Körperschaften in funktionaler Betrachtung die Frage auf, warum die Entlohnung von Abgeordneten, die für sich keine individuelle verwaltungsrechtliche oder zivilrechtliche Verantwortung tragen, deutlich höher als jene der Bürgermeister, die als Person auch zivilrechtlich oft hohe Verantwortung tragen.
Zum anderen verstärkt die Beschränkung auf zwei Einkommen aus öffentlichen Quellen durch das Bezügebegrenzungsrecht bei Ausgliederungen den Eindruck, dass die steigende Verantwortung nicht durch adäquate Entlohnung abgegolten wird: Zwar ist evident, dass es sinnvoll ist, wenn Bürgermeister nicht viele Funktionen verbinden, und wenn das Gesamteinkommen limitiert ist; allerdings ist es freilich sachlich fragwürdig, unabhängig von der Verantwortung nur den Bezug der beiden höchsten Einkommen aus diesen Tätigkeiten zuzulassen. Auch der Vergleich zur Privatwirtschaft lässt die Abgeltung der Bürgermeister als fragwürdig erscheinen:
Rechnet man das Medianeinkommen der Bürgermeister (1.392,00 Euro p.M. netto) auf Basis des mittleren Werts zeitlicher Belastung alleine aus der Bürgermeistertätigkeit (32,7 Stunden pro Woche) auf eine 40-Stunden-Woche um (1.702,00 Euro p.M. netto) würde das Jahresgehalt auf Basis von 14 Monatsbezügen brutto 23.828,00 Euro betragen und damit knapp über dem einer persönlichen Assistent/in im Alter von 25 Jahren und im untersten Quartil (22.900 Euro p.a.) und bereits etwa zehn Prozent unter dem von 28-jährigen Help-Desk Mitarbeiter/innen im untersten Quartil (27.300 p.a.) liegen; damit wird von den Bürgermeistern nicht einmal der Medianwert der Bezüge persönlicher Assistent/innen im Alter von 25 Jahren (25.600 p.a.) erreicht; Bezüge eines Produktmanagers mit 37 Jahren (Medianwert 54.000 Euro p.a.), eines Personalleiters im Alter von 41 Jahren (Medianwert 80.900 p.a.) erscheinen angesichts dessen geradezu utopisch. Dass die meisten Bürgermeister in der Altersgruppe der über 45-jährigen sind, wäre bei dieser Vergleichsrechnung der Bürgermeister gesondert zu bedenken.

Die Forderung

Mödlhammer und Studienautor Mazal forderten, auf Basis der Studienergebnisse, eine neue Festschreibung der Aufgaben der Kommunalpolitik. Man müsse darüber nachdenken, welche Aufgaben die Gemeinden in Zukunft tatsächlich übernehmen sollen und wer die Erfüllung dieser Aufgaben dann zu verantworten habe. Und wenn man sich dafür entscheide, dass dies der Bürgermeister sein soll, dann müsse man auch die dafür notwendigen sozialen Rahmenbedingungen schaffen.“
Diesen Prozess will Mödlhammer aus sämtlichen Wahlkämpfen heraushalten, ein guter Zeitraum, so der Präsident, wäre, „dass wir innerhalb des nächsten Jahres konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen haben“.