Mann, der schwer versteht
Wie ein barrierefreier Zugang zu einem Gebäude aussehen muss, ist leicht erklärt, es gibt klare, eindeutige Richtlinien – für die barrierefreie Sprache gilt das leider nicht im gleichen Ausmaß. Foto: shuttersrock / Daisy Daisy

Ich verstehe Sie nicht!

30. Januar 2017
Verordnungen, Beschlüsse, Richtlinien, Form- oder Merkblätter haben keinen Sinn, wenn man sie nicht versteht. Darüber hinaus verstoßen Texte, die nicht alle Bürger verstehen, gegen das Gesetz. Doch dieses Gesetz ist meist noch nicht angekommen, weder bei den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen, noch in der praktischen Gemeindearbeit.

Sie glauben das nicht? Und doch ist es ganz einfach: Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) ordnet den barrierefreien Zugang aller Behinderten zu allen öffentlichen Einrichtungen an – die Rampen für den Rollstuhl sind heute selbstverständlich.



Laut Gesetz muss aber auch der Zugang zu allen Waren, Dienstleistungen und Informationen barrierefrei sein. Niemand darf aufgrund einer Behinderung unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.



Im Bereich Kommunikation und Information müssen Menschen mit Behinderung wesentliche Texte möglichst ohne fremde Hilfe lesen und verstehen können. Informationen müssen bei der Zielgruppe ankommen, egal, ob es sich um Mitteilungen, Folder, Gebrauchsanleitungen, Hausordnungen, Sicherheitshinweise oder Anleitungen handelt, online oder gedruckt.



Betroffen davon sind vor allem „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ – 85.000 allein in Österreich (Statistik Austria). Zum Vergleich: Rollstuhlfahrer gibt es laut Aufzeichnungen der Statistik Austria rund 50.000.



Wie ein barrierefreier Zugang zu einem Gebäude aussehen muss, ist leicht erklärt, es gibt klare, eindeutige Richtlinien – für die barrierefreie Sprache gilt das leider nicht im gleichen Ausmaß. Was für den einen verständlich ist, ist für den anderen viel zu schwierig. Also wurden Regelwerke geschaffen, Sprachwissenschafter haben sich der Sache angenommen und die EU natürlich auch.

So entstanden Regeln, die aber für den Laien nicht immer leicht anzuwenden sind.



Man nennt die Sprache, die diesen Regeln folgt, „Leichte Sprache“. Komplizierter Satzbau, Fremdwörter und Zahlenfriedhöfe werden vermieden. Um sicherzustellen, dass die Texte tatsächlich beim Zielpublikum ankommen, werden sie von Kontrollgruppen getestet. Diese Kontrollgruppen setzen sich aus Menschen mit Lernschwierigkeiten zusammen und müssen von den Unternehmen oder Institutionen zugezogen werden, die für den Text verantwortlich sind. Viele soziale Einrichtungen sind dabei behilflich.



Neben den sprachlichen Regeln muss die Verständlichkeit auch durch entsprechende Maßnahmen in Satz und Layout unterstützt werden: größere Schrift, größerer Zeilenabstand, keine Fußnoten oder Querverweise und keine komplizierte Kapitelgliederung. Bilder müssen konkret zum Text passen.

Riesige Zielgruppe



Neben der „Leichten Sprache“, die klar für die Zielgruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten definiert ist, gibt es auch die „Leicht verständliche Sprache“. Sie entspricht dem Sprachniveau B1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen. Experten sind überzeugt, dass sich eine „Leicht verständliche Sprache“ etablieren wird.



Hier ist die Zielgruppe riesig: In Österreich gibt es – laut einer aktuellen Studie der OECD – knapp eine Million Menschen, die deutsche Texte nur unzureichend lesen kann. Das sind rund 17 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Sie sind dadurch in Beruf und Alltag benachteiligt. Dazu gehören, neben den Menschen mit Lernschwierigkeiten, vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, mit Asylstatus, Menschen mit funktionalem Analphabetismus und Menschen mit eingeschränktem Sprachverständnis.



Für Wirtschaft und Verwaltung ist es wesentlich, von ihren Kunden und Bürgern  verstanden zu werden – im Marketing, in Anleitungen, vor allem aber auch in rechtlichen Belangen. „Leichte Sprache“ und „Leicht verständliche Sprache“ – ein Gewinn für alle. Gemeinden, die sich dieser Herausforderung so rasch wie möglich stellen, erfüllen nicht nur das Gesetz, sondern haben auch in punkto Bürgernähe die Nase ganz weit vorn.



Autor: Herbert Zach, Germanist und Inhaber des Domus Verlages