Gemeinderätin schwört den Mandatseid
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Gelöbnisverweigerung als Grund für Mandatsverlust

Ein niederösterreichischer Gemeinderat hat sich bei seiner Angelobung nicht an den vorgegebenen Wortlaut gehalten.

“Ich gelobe, die Bundes- und Landesverfassung und alle übrigen Gesetze der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich gewissenhaft zu beachten, meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu wahren und das Wohl der Gemeinde ....... nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern.”



Dieses Gelöbnis verlangt die niederösterreichische Gemeindeordnung (§ 97 Abs. 2 NÖ Gemeindeordnung 1973) jedem Mitglied des Gemeinderates am Beginn der Funktion ab. Erst dann kann die Funktion mit allen Rechten und Pflichten ausgeübt werden.



Nach den Gemeinderatswahlen am 25. Jänner 2015 war es auch in einer Gemeinde am Hornerwald wieder so weit: In der ersten Sitzung des Gemeinderates am 19. Februar 2015, zu der alle gewählten Bewerber ordnungsgemäß geladen und erschienen waren, führte der Altersvorsitzende bis zur Annahme der Wahl durch den neu gewählten Bürgermeister den Vorsitz. Entsprechend den Vorgaben des § 97 Abs. 2 NÖ Gemeindeordnung 1973 las er den Bewerbern die Gelöbnisformel vor. Er selbst legte das Gelöbnis vor dem neu gewählten Gemeinderat ab, anschließend leisteten die gewählten Bewerber das Gelöbnis – bis auf einen. Einer der gewählten Bewerber sah sich gezwungen, der Gelöbnisformel die Aussage „wenn es dem Sinn des Lebens und der Sittlichkeit nicht widerspricht“ hinzuzufügen.



Nach Aufforderung durch den Altersvorsitzenden wiederholte der gewählte Bewerber den Zusatz des Gelöbnisses sinngemäß, woraufhin der Altersvorsitzende ihn mit dem Hinweis, dass ein unter Bedingungen oder mit Zusätzen geleistetes Gelöbnis gemäß § 97 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973 als verweigert gelte, aufforderte, den Sitzungssaal zu verlassen.



In der Gemeinderatssitzung vom 19. März 2015 wurde dieser Vorfall erörtert und die weitere Vorgehensweise besprochen. Der Gemeinderat kam zum Ergebnis, dass ein Antrag auf Mandatsverlust gemäß Art 141 Abs. 1 lit. c B‑VG beim Verfassungsgerichtshof zu stellen sei. Der Beschluss wurde einstimmig gefasst. Ein gewählter Bewerber könne nämlich gemäß §110 Abs. 2 lit. c NÖ Gemeindeordnung 1973 das Mandat verlieren, wenn er sich weigere, das Gelöbnis in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten. Im Gegensatz zu allen anderen gewählten Bewerbern habe der eine sein Gelöbnis nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise, sondern mit dem von ihm selbst gewählten Zusatz („wenn es dem Sinn des Lebens und der Sittlichkeit nicht widerspricht“) geleistet. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 97 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973 gelte ein Gelöbnis mit Bedingungen oder mit Zusätzen als verweigert.

Antrag auf Mandatsverlust



Gemäß Art. 141 Abs. 1 erster Satz lit. c B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof – soweit einfachgesetzlich nicht eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht vorgesehen ist – auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder. Ein solcher Antrag kann auf einen gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper gegründet werden. Von dieser Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes erfasst ist unter anderem die Entscheidung über den Verlust des Mandates als Mitglied eines Gemeinderates, der in Art. 117 Abs. 1 lit. a B‑VG als „allgemeiner Vertretungskörper“ definiert wird.



Der vom Bürgermeister als Vertreter des Gemeinderates eingebrachte Antrag war von einem entsprechenden Beschluss des Gemeinderates gedeckt. In der (ordnungsgemäß einberufenen) Gemeinderatssitzung am 19. März 2015 hat der Bürgermeister den Gemeinderat über das Vorliegen eines gesetzlich vorgesehenen Grundes für den Verlust des Mandates als Mitglied des Gemeinderates informiert. Der Gemeinderat hat in der Folge bei Anwesenheit von mehr als zwei Drittel der Gemeinderatsmitglieder einstimmig dem Antrag des Bürgermeisters, beim Verfassungsgerichtshof die Verlustigerklärung des Mandates zu beantragen, zugestimmt. Der Antrag des Gemeinderates war sohin zulässig.

Die Entscheidung



Der Verfassungsgerichtshof (VfGH18.06.2015, WII1/2015) erwog dazu: Die Gründe für die Verlustigerklärung eines Mandates in einem Verfahren gemäß Art. 141 Abs. 1 lit. c B‑VG ergeben sich aus den für den jeweiligen Vertretungskörper einschlägigen Bestimmungen, insbesondere aus den Geschäftsordnungsgesetzen der allgemeinen Vertretungskörper und den Wahlordnungen. Hinsichtlich der Verlustigerklärung eines Mandates als Mitglied eines Gemeinderates in einer niederösterreichischen Gemeinde finden sich die maßgeblichen Verlustgründe in § 110 Abs. 2 NÖ Gemeindeordnung 1973. Liegt einer der gesetzlich vorgesehenen, strikt nach ihrem Wortlaut zu interpretierenden Gründe vor, hat der Verfassungsgerichtshof nach entsprechender Antragstellung unmittelbar den Ausspruch über die Verlustigerklärung des Mandates vorzunehmen.



Gemäß § 110 Abs. 2 lit. c NÖ Gemeindeordnung 1973 stellt die Weigerung, das Gelöbnis in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten, einen Grund für einen Mandatsverlust dar.



Die Ablegung des Gelöbnisses ist in der ersten Sitzung des Gemeinderates vorgesehen. Ablauf und Form sind in § 97 NÖ Gemeindeordnung 1973 näher geregelt. Dabei sind sowohl eine bestimmte zeitliche Einordnung und Abfolge als auch ein konkreter Wortlaut vorgesehen. Die Schlussfolgerung, dass das jeweils abgelegte Gelöbnis exakt dem vorgegebenen Wortlaut zu entsprechen hat, ergibt sich eindeutig aus der Regelung des § 97 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973, wonach ein Gelöbnis unter Bedingungen oder mit Zusätzen als verweigert gilt und lediglich die Beifügung einer religiösen Beteuerung zulässig ist. Wird der vorgesehene Wortlaut nicht eingehalten bzw. werden dem Gelöbnis Bedingungen oder Zusätze beigefügt, wurde das Gelöbnis somit nicht in der – in § 97 NÖ Gemeindeordnung 1973 – vorgesehenen Weise geleistet.



Der gewählte Bewerber hat bei der Angelobung in der ersten Sitzung des Gemeinderates dem Gelöbnis die Wortfolge „wenn es dem Sinn des Lebens und der Sittlichkeit nicht widerspricht“ und damit eine unzulässige Bedingung angefügt.



Damit war der Grund für den Mandatsverlust gemäß § 110 Abs. 2 lit. c NÖ Gemeindeordnung 1973 erfüllt.



Dem Antrag des Gemeinderates wurde daher stattgegeben und der Bewerber seines Mandates als Mitglied des Gemeinderates für verlustig erklärt.