Mit selbstfahrenden Fahrzeugen hofft man, vor allem die erste bzw. letzte Meile überbrücken zu können.
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Automatisierung der Gemeinde als Chance

Automatisierung bedeutet zumeist Ökonomisierung, Kostensenkung und Produktivitätssteigerung. Doch kann sie im ländlichen Raum auch Lösungen für Probleme wie die „Überbrückung der letzten Meile“ liefern?

Automatisierung ist das Zauberwort, wenn es darum geht, Abläufe schneller, effizienter oder günstiger zu machen. Das kann so weit gehen, dass durch eine Automatisierung bestimmte Vorgänge überhaupt erst möglich, sinnvoll oder rentabel werden.

Historisch gesehen haben Automatisierungen der Menschheit immer wieder Entwicklungsschübe beschert, die die gesamte Welt dauerhaft verändert haben. 

Das automatisierte Nachladen von Schusswaffen etwa hat ganze Armeen zu Schießbudenfiguren degradiert, Machtverhältnisse ins Gegenteil verkehrt und Kriege entschieden. Die Fließbandproduktion hat Kosten drastisch gesenkt und beispielsweise die Motorisierung breiter Bevölkerungsschichten überhaupt erst ermöglicht. Die fundamentalen industriellen Revolutionen von der Dampfmaschine über die Elektrizität und ihre Anwendungsgebiete bis hin zur Digitalisierung sind allesamt untrennbar mit Automatisierungen verbunden. 

Unternehmen und Konzerne nutzen die Automatisierung, um ihre Produktivität zu steigern, Staaten nutzen sie für ihre Verwaltung und Privatpersonen mitunter einfach nur aus Bequemlichkeit. Mit einem schlichten „Alexa, Wohnzimmer ein!“ spart man sich das mühsame Aufstehen und manuelle Einschalten von Licht, Fernseher, Ventilator und Co. 

Automatisierung ist mehr als Einsparung von Personalkosten

Unbestritten verfügt die Automatisierung über eine Menge Vorteile. Warum also sollten Gemeinden nicht auch von ihr profitieren?

Im Allgemeinen tun sie das natürlich bereits, so wie jeder und alles andere auch. Doch gibt es auch Bereiche, in denen die Automatisierung ganz speziell dem ländlichen Raum einen Vorteil bringen kann? Kann sie womöglich strukturelle Probleme beheben und vielleicht sogar wie schon früher in der Geschichte die Machtverhältnisse umdrehen? Theoretisch ganz bestimmt. In der Praxis fällt die Antwort differenzierter aus. 

Sieht man sich an, welcher Effekt der Automatisierung im ländlichen Raum vornehmlich zum Tragen kommt, stellt man fest, dass es fast immer um die Einsparung von Personalkosten geht. Oft ist die Besiedelung zu dünn und die (Kunden-)Frequenz zu gering, um Geschäfte zu betreiben. Die Trafik im Dorf gibt es kaum noch, geblieben ist nur der Zigarettenautomat. Tankstellen bestehen häufig nur noch aus Selbstbedienungszapfsäulen in Form von Tankautomaten. 

Die zugehörigen Tankstellen-Shops findet man meist nur an übergeordneten Durchzugsstraßen. Ist die Kundenfrequenz zu gering, werden auch hier die schnellen Imbisse durch Snack-, Getränke- und Bistro-Automaten ersetzt. Am Straßenrand finden sich zunehmend mehr oder weniger automatisierte Hofläden in Form von Hütten oder Containern, in denen Grundnahrungsmittel wie Eier oder Mehl, aber auch ungewöhnlichere lokale Lebensmittel wie Dinkelschrot und Akazienhonig mitgenommen werden können. 

Hofladen
Wo Nahversorger keine Überlebenschancen haben, bieten Hofläden und Lebensmittelautomaten oft ein Minimum an Grundversorgung – auch eine Form der Automatisierung. 

Das ist zwar alles immer noch besser, als gäbe es gar keine Zigaretten, Treibstoffe oder Lebensmittel mehr, aber erfreulich ist diese Entwicklung nicht. Durch die Personalstreichungen hat sich die Situation für die Bevölkerung subjektiv verschlechtert.

Wie kann Automatisierung das Leben erleichtern?

Toll wäre es, wenn das Nichtbenötigen von Personal zu einer Verbesserung der Lebenssituation führen würde. Doch wie könnte das aussehen?

Ein Beispiel, das von Gemeinden bereits mancherorts umgesetzt wird, sind Chatbots. Die automatisierten Helferlein sollen Bürgern die Kommunikation mit der Gemeinde erleichtern, Fragen beantworten und im digitalen Verwaltungsdschungel den richtigen Weg weisen. Natürlich kann und konnte man auch einfach auf der Gemeinde anrufen, aber in dem Umfang und der Intensität ist die Kommunikation der Bürger mit dem Chatbot ein Novum und theoretisch eine Verbesserung. Theoretisch deshalb, weil die Zufriedenheit mit dem digitalen Gemeindebediensteten noch enden wollend ist. Komplexe Fragen überfordern ihn schnell und leider frustriert er zu oft mehr, als dass er hilft. Sieht man sich die Rasanz der technischen Entwicklung an, darf man aber auf eine sukzessive Verbesserung vertrauen. 

Überbrückung der ersten bzw. letzten Meile

Die allerhöchsten Erwartungen in eine perso­nalfreie Automatisierung bestehen allerdings auf einem anderen Gebiet. Es geht um die Mobilität am Land – um die sogenannte „Überbrückung der ersten bzw. letzten Meile“. Darum, wie die Leute von ihrer Wohn- oder Arbeitsadresse zum nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsmittel oder gar direkt an den gewünschten Zielort gelangen können, ohne Privatfahrzeuge benutzen zu müssen. Lange schien diese Problematik unlösbar, doch dann kamen die ersten Prototypen von selbstfahrenden Bussen und plötzlich gab es einen realistischen Lösungsansatz, der das Zeug zu einem absoluten Game-­Changer in sich trägt. 

Autonom fahrende Mini-Busse als Shuttle bzw. Ortstaxi

Die Vision ist klar. Autonom fahrende Mini-Busse fungieren als Shuttle bzw. Ortstaxi. Idealerweise holen sie den Bürger zu einem gewünschten Zeitpunkt von einem gewünschten Punkt ab und befördern ihn zum Zielort. Beispielsweise sagt man dem Bus mittels App, wo man ist und wann man wo sein möchte, und dieser antwortet umgehend, wann er einen abholen wird. Das wäre die Idealvorstellung.

Ob man zum Bahnhof und weiter in die Arbeit möchte oder ob die gebrechliche Seniorin den Arzt im Nachbarort aufsuchen muss: mit dem automatisierten Gemeindeshuttle kein Problem. Freilich ist das noch Zukunftsmusik. Es wäre aber auch schon ein Quantensprung, wenn man mit derartigen Bussen ein Liniensystem etablieren könnte. Neben  dem ungeheuren Nutzen, den diese automatischen und  kostengünstigen Öffis bringen, ist es natürlich auch eine Prestigesache, hier zu den Pionieren zu gehören, und die Bereitschaft, selbstfahrende Busse zu testen, ist seitens der Gemeinden hoch. 

Ernüchternde Erfahrungen

Mittlerweile macht sich jedoch die große Ernüchterung breit. Die Pilotversuche wurden im Lauf der letzten Monate praktisch alle eingestellt. Nach mehr als drei Jahren Forschungsarbeit beendete am 30. Juni die Stadt Wien den Testbetrieb ihrer autonomen Busse in der Seestadt. Gleichartige Fahrzeuge der Marke Navya waren zuvor schon kurzzeitig in Salzburg, Klagenfurt und Pörtschach auf der Straße. 

selbstfahrender Bus
Nach mehr als drei Jahren Forschungsarbeit beendete die Stadt Wien am 30. Juni den Testbetrieb ihrer autonomen Busse in der Seestadt. Foto: Helmer Manfred/Wiener Linien

Äußerst umfangreich war auch „Digibus Austria“, das österreichische Leitprojekt für automatisiertes Fahren im öffentlichen Personennahverkehr. Ende März wurden die Erkenntnisse aus diesem rund drei Jahre dauernden Forschungsprojekt präsentiert. Diverse Strecken und Szenarien wurden dabei getestet. Am praxisnächsten waren der mehrmonatige Demo-Einsatz von automatisierten Bussen im Zuge der Landesausstellung 2019 in Wiener Neustadt auf sechs Strecken, wobei fast ausschließlich Fußgängerzonen in Schrittgeschwindigkeit befahren wurden. 

In der Salzburger Gemeinde Koppl befuhr man sogar eine öffentliche Teststrecke in ländlicher Umgebung mit einer  Länge von 1,4 Kilometer. Die Passagiere zeigten sich zwar überwiegend angetan, doch die Sache hat leider gleich mehrere Haken. Zum einen fuhr zur Sicherheit immer ein Operator mit, der im Bedarfsfall immer manuell einschreiten konnte, was auch notwendig wurde. Zum anderen musste die Strecke erst aufwendig erfasst und vom Bus „eingelernt“ werden. Also nichts mit Zieladresse eingeben und losfahren. Das Einstudieren erfolgt unter anderem mithilfe der umfangreichen Sensorik des Busses, die auch während jeder Fahrt permanent auf Hochtouren arbeitet. Diese ist hochsensibel, aber leider auch störanfällig. Ändert sich die Umgebung nämlich auf unvorhergesehene Weise, bringt das den Bus aus dem Konzept. Herabfallende Blätter können dafür schon ausreichen. Die Vegetation verändert sich im Lauf der Jahreszeiten. Und auch Wetterereignisse wie Schneelage, Starkregen oder Gewitter lassen die eingelernte Strecke anders aussehen. Doch gerade wenn Schlechtwetter herrscht, sind das eigentlich die Zeiten, wo man anstatt des E-Bikes lieber das Shuttle benutzen würde.

Digibus in Koppl
Digibus Austria auf seiner Route durch Koppl. Foto: Salzburg Research/wildbild

Der Weg bis zur automatisierten letzten Meile ist also noch ein sehr weiter. Nicht nur, was die technische Seite anbelangt – auch  rechtlich sind noch viele Fragen offen. Und dann ist da noch die wirtschaftliche Seite. Bei Digibus Austria hat man Kostenmodelle berechnet, etwa im Vergleich zu einem herkömmlichen achtsitzigen Kleinbus, die Investitionskosten, laufenden Kosten und Personalkosten einschließen. Ergebnis: Um konkurrenzfähig zu sein, müssten die Kosten der autonomen Busse gedrittelt werden. Mindestens. Denn auch die Geschwindigkeit spielt eine Rolle, wenn gewisse Umlaufzeiten erreicht werden müssen. Sind diese mit den niedrigen Geschwindigkeiten der aktuellen autonomen Fahrzeuge nicht erreichbar, dann braucht man einen zusätzlichen Bus und hat nochmals höhere Kosten. 

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen – die Automatisierung im ländlichen Raum kann und wird die Mobilität revolutionieren. Noch ist man davon allerdings deutlich entfernt.

Bei einer Expertendiskussion zum Abschluss des Projekts wollte sich kein Teilnehmer auf einen Zeithorizont festlegen, wie lange es noch dauern könnte. Der technische Jurist Benno Nager gab aber zu bedenken, dass in Langstreckenfliegern, die bereits zu 95 Prozent im Autopilot fliegen, heute noch drei Piloten sitzen, wobei in der Luft im Gegensatz zum Straßenverkehr praktisch keine Hindernisse sind.

„Der fahrer­lose Betrieb ist allerdings ein Muss“, meint AustriaTech-­Geschäftsführer Martin Russ. Mit einem menschlichen Operator an Bord wären die Kosten nämlich niemals konkurrenzfähig. Er weiß aber auch: „Es steckt verdammt viel Potenzial drinnen.“ Und damit hat er recht. Es mögen noch etliche Jahre ins Land ziehen, aber irgendwann ist die Technologie und die Gesetzgebung reif für ein öffentliches, autonom fahrendes Verkehrsmittel auf den heimischen Straßen.