Auf dem Weg nach Europa - und wer zahlt (drauf)?

14. März 1989
Nach dem Spendenaufruf für Armenien in der Ausgabe 1 befasste sich die erste „echte“ Ausgabe des „kommunal-journals“ mit einem handfesten Thema. Es ging um die Frage, wer Gewinner und wer Verlierer des kommenden Beitritts zur Europäischen Union sein würde. Welche Zukunft hat in einem großen Europa der Finanzausgleich, was passiert überhaupt mit unserem Finanzsystem generell und dem Finanzierungsmodell der Gemeinden im Besonderen? Lacina ging sogar soweit, die Abschaffung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels zugunsten „selektiverer“ Kriterien zu „überdenken“. In gleich mehreren Beiträgen, darunter ein Interview mit dem damaligen Finanzministers Ferdinand Lacina und ein Gastbeitrag des Kanzleramtsministers – höchst prominente Mitwirkung von Beginn weg also – wurde das Problem besprochen.

KOMMUNAL 02/1989

Österreichs Weg nach Europa wird keine Frage des politischen Glaubensbekenntnisses werden und schon gar nicht eine Frage des guten oder schlechten historischen Geschmacks. Die Annäherung Österreichs an die EG wird einem komplizierten Mischmasch aus Rechenstift und Erfüllung der verschlungenen politischen und wirtschaftlichen Interessen folgen. Ohne Zweifel werden die Finanzen die Hauptrolle spielen. Und das ist jener Punkt, bei dem die Gemeinden höllisch aufpassen müssen, daß sie nicht unter die rollenden EG-Räder geraten. Es könnte nämlich trotz gegenteiliger Versicherungen von hohen Politikern die Finanzhoheit der Gemeinden und damit letztlich die Gemeindeautonomie ernst in Gefahr sein. Das befürchten zumindest Bürgermeister, deren Gemeinden ein hohes Aufkommen an Getränkesteuer (Fremdenverkehr) oder Lohnsteuer (Wirtschaft) haben.

Ein klares »Nein« zum Ankratzen der Gemeindeautonomie formuliert übrigens der Vizepräsident des Österreichischen Gemeindebundes, Dr. Rudolf Ostermann, langjähriger Finanzausgleichs-Verhandler und Kemater Bürgermeister (Tirol) in dieser Ausgabe des »kommunal-journal«.

Wo liegt das Problem? 

Wenn man sich dem EG-Problem aus der Sicht der Gemeinden nähert, muß man davon ausgehen, daß in den EG-Staaten (derzeit auch noch untereinander) zum Teil völlig andere Systeme herrschen. Sollte Österreich irgendwann in einem Jahrzehnt einen Vertrag mit der EG bekommen, wird kein Tausender auf dem anderen bleiben. Wir werden z.B. die Mehrwertsteuer nach unten angleichen, die Gesetze EG-konform beschließen und die Normen der der EG angleichen müssen.

(Darüber freut sich natürlich die Industrie, die derzeit trotz der Einfuhrbarrieren der EG fanta- stische Exporterfolge erzielt, die unsere jetzige Hochkonjunktur mittragen. Und gute Einnahmen für die Gemeinden mit Standorten dieser Unternehmungen)

Aber: Unser System, das das Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden finanziell regelt, gibt es praktisch nirgendwo in Europa. Die Einnahmen der Gemeinden auf den ein­fachsten Nenner gebracht:

  • Ertragsanteile aus den gemeinschaftlichen Bundesabgaben, die gesetzlich aufgeteilt werden.
  • Eigene Einnahmen der Gemeinden etwa aus Getränkesteuer, Lohnsummensteuer usw.
  • Indirekte Finanz-Entlastung der Gemeinden durch große Sonderabkommen wie etwa Was­ serwirtschaftsfonds oder der Versuch eines gerechten KRAZAF.

Kaum irgendwo in den EG-Staaten wird diese finanzielle Materie so relativ dezentral gehandabt wie in Österreich. In Deutschland beispielsweise gibt es einen Finanzausgleich zwischen dem Bund und den Ländern. Und die Länder reden dann mit den Gemeinden. So zumindest formuliert es der österreichische Bundesminister für Finanzen, Ferdinand Lacina.

Es gibt einige Gemeinden in Österreich, denen das ganze Gerede um die Finanzhoheit der Gemeinden zu einem hohen Grad gleichgültig ist. Es sind dies jene Gemeinden, die beim besten Willen und bei allem Bemühen durch ihre Lage oder Struktur einfach keine Chancen auf bedeutende Mehreinnahmen, etwa durch Fremdenverkehr, Industrie, Gewerbe und Dienstleistung, haben. Sie sind ohnehin gezwungen, mit den Ertragsanteilen das Auslangen zu finden und alle paar Monate ins Landhaus zu pilgern und den zuständigen Landesrat um Finanzhilfe für dringend notwendige Projekte zu ersuchen.

Die Mehrzahl der Gemeinden aber hat sehr wohl Chancen, eigene Einnahmen zu erzielen. Und um diese geht es. Sie sind neben den Ertragsanteilen oft jene Quellen, aus denen die Mittel sprudeln, die notwendig sind, um den Bürgern jene Infrastruktur aufzubauen, die erwartet wird.

Niemand weiß heute, ob diese Finanzhoheit in einem großen Europa aufrechterhalten werden kann. Aber viele Bürgermeister sagen, es lohnt sich, um diese Finanzhoheit zu kämpfen, weil sie bis zu gewissem Grad Autonomie bedeutet, also die Möglichkeit, die Geschicke der Gemeinde in die eigene Hand zu nehmen. Vielen tut es gut, aus dem Mund des Kanzleramtsministers zu hören, daß Föderalismus durchaus nicht nur eine Sache zwischen Bund und Ländern ist, sondern daß die Gemeinden heute ein wichtiger Bestandteil der Föderalismus-Idee sind. Europa und die Finanzen sind eng miteinander verquickt. Finanzhoheit und Gemeindeautonomie auch. Man wird also am Ball bleiben müssen, denn auch für den Fall, daß Österreich aus der EG draußen bleibt, denken einige schon jetzt laut über eine Änderung unseres derzeitigen Systems nach.