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Zeitbomben für Gemeindekassen

1. November 1997
Im wahrsten Sinne um Bomben ging es in der Novemberausgabe des Jahres 1997: Bombenblindgänger in Österreichs Boden. Nach einer spontanen Explosion in Salzburg 1996 hatte das Bundesland eine flächendeckende Untersuchung angestrengt. Erschreckendes Ergebnis: hochgerechnet rund 24.000 nicht explodierte Bomben aus dem 2. Weltkrieg könnten noch in Österreich lauern. Und es wäre nicht Österreich, wenn eine Behebung dieser Gefahren nicht am Geld und an der Zuständigkeit gescheitert wäre und vermutlich auch künftig scheitern würde.

KOMMUNAL 11/1997, Herbert Leschanz

Einem pflügenden Bauern im Marchfeld bei Deutsch-Wagram ist vor einigen Jahren die Lust auf die weitere Bestellung seines Ackers gründlich vergangen. Er pflügte so vor sich hin und sah sich plötzlich nach einem ohrenbetäubenden Krach in den Furchen. Sein Traktor lag zerfetzt neben einem Bombentrichter. Der Mann kam wie durch ein Wunder mit dem Leben davon. Nahezu täglich kommen Kriegsrelikte zum Vorschein. Vor einer systematischen Erhebung und Kartierung von Munitionsfundstellen und Verdachtsflächen wurde bisher abgesehen. Das Bundesland Salzburg - nicht einmal so sehr im Brennpunkt der Gefechte in den letzten Kriegsmonaten - hat nun einen Anfang gemacht und eine Spezialistenfirma, die KOCH Munitionsbergungsgesellschaft m.b.H., mit einer ,,Landesweiten Erhebung von Kriegsrelikten im Bundesland Salzburg" beauftragt. Das Ergebnis liegt jetzt vor. Die Bergung, oder, wie es in der Fachsprache heißt, die Beräumung könnte beginnen. Könnte. Denn die finanzielle Seite ist völlig ungeklärt. Ein Juristenstreit wird einsetzen. Wer ist zuständig: Sind es die Grundeigentümer? Die Gemeinden, die ja nicht Krieg geführt haben? Sind es die Länder? Der Bund, als Rechtsnachfolger des kriegsführenden Staates? Bleibt es letztlich doch an den Gemeinden hängen? Weil dem Bürgermeister die Sicherheit der Bürger einfach wichtig ist. Denn, was da so im Boden liegt - ist auch nach 50 Jahren nicht ungefährlich. Im Gegenteil, so die Experten von der Munitionsbergung. Die Gefahr ist sogar größer geworden. Der große zeitliche Abstand zum Krieg ließ Vorsicht und „Verdacht" gegen Null sinken.
Nur noch wenige Personen können Auskunft geben.
Die ungeschützte Lagerung ließ die Munition stark rosten: Sie ist kaum noch handhabungs- und transportfähig. Besonders Handgranaten, Gewehrgranaten und Munition mit Aufschlagzündern und vorgespannten Schlagbolzen (Minengranaten, Bodenzünder) explodieren bereits bei geringsten Manipulationen.
Höchst explosiv sind weiters alle Zündmittel (Sprengkapseln, Zündladungen) und die Munition mit chemischer Füllung - zum Beispiel Nebelhandgranaten oder die „Riechtöpfe" mit chemischen Kampfstoffen wie CN, Triphosgen, Lost und Diphenylarsinchlorid) sowie Brandmunition mit Weißem Phosphor etwa in Panzerbrandgranaten

Nur unbefugt zu Schaden!

Juristisch haben sich die Behörden freilich abgesichert. Einer akuten Gefahr würden sich demnach nur „unbefugte Personen durch unsachgemäßen Umgang" aussetzen. Soviel steht aber fest: Spielende Kinder sind auf jeden Fall unbefugt und handeln unbefugt mit gefundenen Sachen, die noch dazu interessant ausschauen.
Ist auch der Marchfelder Bauer ein unbefugter Pflüger, der Baggerführer der Baufirma Hoch & Tief ein Unbefugter? Sprengkräftige Kriegsrelikte und explo­sivstoffbehaftete Munitionsteile werden - verrostet und zerfressen wie sie sind - von den allermeisten Menschen nicht mehr als solche erkannt. Ziehen aber dennoch Aufmerksamkeit und Neugier auf sich.

Immer mehr Selbstdetonationen

Soll man das alles einfach im Boden belassen? Ist 's bis jetzt nicht in die Luft gegangen, wird's wohl auch künftig nicht mehr „springen". Könnte man doch annehmen.
Dazu die Experten der Firma Koch:
,,Das Belassen von vergrabener Munition oder Bombenblindgängern im Boden verlagert das Problem auf spätere Generationen. Unverantwortlich! Denn sie ist auf explosive Kriegsrelikte noch weit weniger gefaßt. Außerdem, der Rost nagt weiter an den Zündern, die Dinger kann man immer weniger handhaben, geschweige denn transportieren. Es wird immer mehr zu Selbstdetonationen kommen."

Die Bombe im Park: Salzburg geschockt

Eine solche Selbstdetonation - am 31. Juli vorigen Jahres explodierte in der Landeshauptstadt im Baron Schwarz­ Park „einfach so" eine amerikanische Bombe mit Langzeitzünder - schockte die Salzburger. Die Bevölkerung wollte es nun jedenfalls einmal genau wissen, welch brisante Sachen da im Boden liegen. Die Landesregierung gab eine landesweite und flächendeckende Erhebung in Auftrag. Es ist dies die erste in Österreich bisher durchgeführte Maßnahme zur systematischen Bewertung des Gefährdungspotentials durch Kampfmittel.
Was damit geschehen soll?
Noch ist es unklar. Man könnte nun mit der genauen Kenntnis der Fundstellen und Verdachtsflächen die Bergung in Auftrag geben. Wenn die Finanzierung geklärt wäre. Oder man könnte bloß Gefahrenhinweise geben, etwa mit dem Schild: ,,Vorsicht vor möglichen Bomben!" Was in einem Fremdenverkehrsland und in landeshauptstädtlichen Parkanlagen wiederum nicht so gut aussieht. Die Munitionsbergungsfirma Koch führte diese Erhebung akribisch durch. Firmensprecher Thomas Schmid: ,,Wir möchten uns bei allen Meldungslegern, Grundeigentümern, Zeitzeugen, Gemeindebediensteten und Gendarmeriebeamten für die Hilfsbereitschaft bedanken, ohne die das Resultat nicht zustande gekommen wäre!"

Heiße Töpfe im kalten Boden

Blättern wir ein wenig in dieser hochbrisanten Studie. Im Gebiet der Gemeinde Anif ist äußerste Vorsicht geboten. Bombenblindgänger (Abwurf auf die Autobahnbaustelle, Fehlwürfe, die der Stadt Salzburg galten) liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf 15 Grundparzellen. 1945 wurden über Bischofshofen in vier Angriffen rund 600 Bomben abgeworfen, Hauptziel Bahnhof. Da die Blindgängerquote bei amerikanischer Abwurfmunition bei etwa 10 bis 25 Prozent liegt, ist mit gut und gerne 50 bis 60 Blindgängern oder auch mehr zu rechnen. Da im nächsten Jahr mit umfangreichen Bauarbeiten im Bahnhofsbereich begonnen wird, empfiehlt die Studie eine rechtzeitige digitale Luftbildauswertung dieses Bereiches.
Schwer munitionsverseucht ist ein Areal im Gemeindegebiet Grödig am Fuße des Unterbergs, unmittelbar nach dem Krieg ein Vernichtungsplatz für Munition aller Art. Kinder und Waldarbeiter kamen öfter schon in ernste Gefahr. Das Gebiet ist bei Militaria-Sammlern äußerst beliebt. Im Bereich des Sprengtrichters wird auch Schotter abgebaut, wodurch es zu ungewollten Verfrachtungen kommen kann. Gefunden wurden im Zuge der Erhebung ganze Patronen, Handgranaten, Sprenggranaten und Panzerbrandgranaten.
Direkt neben den Westbahngeleisen befindet sich in Leogang eine Verdachtsfläche. Im Bahndamm könnten sich Bombenblindgänger und andere Munition befinden. Jede Menge Ortungssignale.
Die „Sandten" am Fuße des Steinernen Meeres in Maria Alm war ein 200 Hektar großer Gebirgsschießplatz der US­ Armee. Auch die Deutsche Wehrmacht hat dort gefeuert. Jetzt ist die Sandten ein äußerst beliebtes Wandergebiet, mit stark frequentierten Wanderwegen durchzogen. ,,Wir empfehlen die systematische Sondierung der Wanderwege und eines Sicherheitsstreifens beiderseits der markierten Wege", heißt es lapidar in der Studie. Immer wieder werden durch Regenfälle Blindgänger freigelegt - etwa amerikanische Mörsergranaten Kaliber 81 mm.
Heikel, sehr heikel ist der Fall in der Gemeinde Mattsee. Sechs Bomben schlugen 1945 ins Wohngebäude Mattsee 121. Aber nur fünf detonierten. Wo ist der Blindgänger, schwerstes Kaliber GP 1000 lbs? Neben der Hauptschule? Neben dem Behindertenheim? Die Studie: „Zu beachten ist in jedem Fall eine möglichst diskrete Vorgangsweise, um die Bewohner des Behindertenheimes nicht zu beunruhigen!" Schwer munitionsverseucht sind auch Areale entlang von Straßen im Lungau (Schwerpunkt Tweng, Mörtelsdorf, Neggerndorf), Rückzugsstraßen der Deutschen Wehrmacht, die sich dort ihres Gerätes entledigte: Patronen, Handgranaten, Panzerfäuste, Flak-Munition 20 mm. Immer wieder kreuzen dort Militaria Sammler auf.

Und als der Schitter-Lois unlängst seinen Heuwender in Betrieb nahm, erfaßte seine Maschine B-Munition Kaliber 8 x 57. Der austretende Phosphor setzte das Heu in Brand.

Bombe hinterm Stall

Auch Landwirt Andreas Schaidreiter in St. Johann im Pongau muß mit der Gewißheit eines Bombenblindgängers auf seinem Anwesen leben, vermutet wird ,,gleich hinterm Stall".
Im unmittelbaren Bereich des heutigen Erlebnisparkes Fantasia in Straßwalchen befand sich 1945 ein sogenannter Panzergraben , ein Panzerriegel im Rahmen der „Voralpenstellung". Nach Kriegsende wurde der Panzergraben mit Waffen, Munition und Gerät regelrecht verfüllt. ,,E scheint dies ein exemplarisches Beispiel für den sorglosen Umgang mit sprengkräftigen Kriegsrelikten zu sein, einen von Kindern samt Eltern stark frequentierten Erlebnispark auf einer Munitionshalde zu errichten!", heißt es mit starkem Affekt in der Studie. Immerhin ist von Infanteriemunition, Panzerfäusten, Handgranaten und auch Panzerminen unter den Schuhen der Besucher des Parks auszugehen.
Vermutlich nur mit Zerstörung des naturgeschützten Seeufers ließen sich am Seetaler See im Gemeindegebiet von Tamsweg die zahlreichen Relikte aus der unseligen Zeit bergen.
Munition und Waffen befinden sich zuhauf unter dem Schwingrasen des Sees. Starke Ortungssignale gibt es auch entlang der Bundesstraße.

15 - 20 Prozent Blindgänger

Im Zellersee lagert zahlreiches Kriegsmaterial. Zu Versenkungen von Waffen, Munition und Gerät kam es vor allem in den Bereichen Hotel Freiberg und Grand Hotel in Zell am See, entlang der Bahn südlich von Zell sowie in der Bucht nördlich von Thumersbach.
Und sollte auf der „Professorenwiese" in Guggenthal, Salzburg-Gnigl, einmal aufgegraben werden, empfiehlt die KOCH-Studie vorher dringend Sondierung und allfällige Bergung von schweren amerikanischen Bombenblindgängern.
Laut Aufzeichnungen des Pentagons fielen über Österreich insgesamt 240.000 Bomben, allein amerikanische. Die Blindgängerquote - wir wissen es schon - schwankt zwischen 10 und 25 Prozent. So manches Stück rostet noch still vor sich hin. Und Sprengstoff bleibt Sprengstoff.