Tafel "Absiedeln statt absaufen"
© Andreas Hussak

Wer zahlt drauf, wenn sich Flüsse ausbreiten?

Die Überflutungen der vergangenen Jahre erfordern vorausschauendes Handeln. Entweder in Form von Hochwasserschutzbauten oder indem man dem Wasser die Fläche zugesteht, die es sich gegebenenfalls sowieso nimmt. Doch wer zahlt drauf, wenn den Flüssen mehr Raum gegeben werden soll?

Genausowenig wie der Klimawandel zu leugnen ist, ist es auch das Zunehmen von Wetterextremen. Dem wärmsten Wintermonat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen folgt der regenreichste Sommer aller Zeiten, oder umgekehrt. Rekordhitze und Schneechaos sind regelmäßig in den Schlagzeilen. Muren, Hangrutschungen und Felsabbrüche treten häufiger auf, und alle paar Jahre gibt es ein Jahrhunderthochwasser.

Der Mensch ist mitschuld

Überflutungen zählen mit zu den verheerendsten Naturkatastrophen, die in Österreich auftreten. Dass sie derart verheerende Schäden anrichten, lässt sich jedoch nicht allein der Natur in die Schuhe schieben. In gewisser Hinsicht trägt der Mensch dazu bei, die Folgen eines Hochwassers zu verstärken. Versiegelte Böden nehmen kein Wasser auf, verdichtete Böden nur wenig.

Durch künstliche Flussbetten und die Regulierung ändert sich das Fließverhalten der Gewässer. Und schließlich ist es der Mensch selbst, der sich gerne in unmittelbarer Nähe zum Wasser niederlässt, sei es in der Stadt am Fluss oder im Haus, durch dessen Garten ein Bächlein gluckert. Ob aus wirtschaftlichen, praktischen oder romantisches Gründen, die Nähe zum Wasser hat unbestritten seine Reize - wenn da nicht auch diese Gefahr der Fluten wäre.

Schutzbauten errichten oder dem Wasser Raum geben

Um einer eventuellen Überflutung zu entgehen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man errichtet Schutzbauten gegen Hochwasser, oder man gibt den Wassermassen Raum, um sich auszubreiten, sogenannte Retentionsflächen. Hochwasserbauten sind teuer und aufwändig in der Errichtung und verursachen laufend Instandhaltungskosten. Das bislang aufwändigste Bauvorhaben zum Hochwasserschutz in Österreich war übrigens der Bau des Entlastungsgerinnes in Wien, genannt Neue Donau.

Siedlungen abreißen?

Manchmal ist der Bau eines Hochwasserschutzes schlicht nicht finanzierbar oder technisch nicht möglich. Auch im Sinne des Umweltgedankens wird daher, frei nach dem Motto „Zurück zur Natur", in einigen überschwemmungsgefährdeten Gebieten dazu tendiert, den Fließgewässern wieder mehr Raum zu lassen.

Flächen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit überflutet würden, werden in einen möglichst naturnahen Zustand versetzt, Bautätigkeiten untersagt. Im Falle einer Flut hat das Wasser Platz und richtet keine nennenswerten Schäden an. Leider sind diese Flächen nicht frei festlegbar, sondern durch die Topographie vorgegeben, und wenn auf diesen Flächen jemand lebt, dann ist das ein Problem. Am besten sollte derjenige nämlich weg, mitsamt seinem Haus. Lebt nicht nur einer, sondern viele in dem betroffenen Gebiet, kann es notwendig werden, dass ganze Siedlungen abgerissen werden. Besiedelte Areale, die sich in Überschemmungsgebieten befinden, liegen etwa im niederösterreichischen Marchfeld, oder im im Eferdinger Becken in Oberösterreich.

Eferdinger Becken: Wer bleibt, wird nicht geschützt

Das Eferdinger Becken westlich von Linz wird von der Donau durchflossen und war bei der Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 Schauplatz großräumiger Überschwemmungen, die Schäden in Millionenhöhe verursachten. Betroffen waren Gemeinden wie Eferding, Pupping, Goldwörth oder Alkhoven.

Der Bund und das Land Oberösterreich beschlossen daraufhin einen Finanzierungsrahmen für die Förderung des Hochwasserschutzes im Eferdinger Becken in Form einer Art. 15a-Vereinbarung. Das Gebiet wurde unterteilt in Zonen für aktiven und für passiven Hochwasserschutz. Für Menschen, die in der passiven Zone leben, besteht der einzige Schutz darin, sich eine freiwillige Absiedlung ihrer Liegenschaftsobjekte fördern zu lassen. Mit anderen Worten: Wer bleibt, wird nicht geschützt und muss damit rechnen, mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut betroffen zu sein. Die betroffenen Gemeinden im Eferdinger Becken haben die Projektunterlagen in der ausgearbeiteten Bestvariante vergangenen August vorgelegt bekommen und bis jetzt Zeit gehabt, sich über die Umsetzung zu einigen.

„Wie in einer Geisterstadt!"

Im Gemeindegebiet von Goldwörth, das zu einem Gutteil als „Schutzzone Überflutungsgebiet" definiert wurde, ist die Absiedlung bereits in vollem Gange. Der besonders exponiert liegende Ortsteil Hagenau ist kaum wiederzuerkennen. Die Hauptstraße ist gesäumt von Gärten und teils gemähten, teil verwilderten Parzellen. Allein Häuser sieht man kaum noch. Ein abbruchreifes Haus und ein Wartehäuschen stehen alleine auf weiter Flur. Der ehemals für seine Grillhühner berühmte Gasthof ist noch tageweise zu mieten. Gäste kommen keine mehr.

Beim Lokalaugenschein ist ein einziger Mensch anzutreffen. Der alte Mann spricht aus, was man sich bei einem Besuch von Hagenau unweigerlich denkt: „Ich fühle mich hier wie in einer Geisterstadt!" Seit 60 Jahren lebt er hier, kannte jedes Haus und jeden Bewohner. Er selbst hatte Glück, denn er wohnt schon seit einiger Zeit etwas entfernt und blieb vom Hochwasser verschont. „Nur einen halben Meter höher und auch ich wäre überflutet worden, dabei wohne ich 3,5 km von der Donau entfernt." Man spürt seine Wehmut, während sein Blick über das verschwundene Ortszentrum schweift. Wie schwer muss es erst den Einwohnern gefallen sein zu gehen? Einigen wenigen wohl zu schwer. Sie bleiben. So hat ein Bauer seine Wohnräume und alles von Wert in den oberen Stock seines Hofes verlegt. Ein anderer Hagenauer hat sein Haus hochwasserfest auf Stelzen gebaut.

Hauptstraße Hagenau
Die Hauptstraße in der Ortsmitte von Hagenau. Einzig die verstreut stehenden Schwengelpumpen lassen erahnen, dass hier einmal mehr war als nur grüne Wiese.

Leute wollen gleichwertigen Ersatz

Der Bürgermeister von Goldwörth, Johann Müllner, weiß, wer bei der Umsetzung des Hochwasserschutzkonzepts am meisten zum Handkuss kommt: Die einzelnen Bewohner sind es. Sie müssen ihr Leben neu ordnen und die Gebäude niederreißen, die mitunter seit Generationen ihr Zuhause waren. Zudem sind Abriss, Grundkauf und Neubau trotz Förderungen eine enorme finanzielle Belastung.

Müllner schätzt, dass im Schnitt Kosten von rund 200.000 Euro pro Umsiedlung angefallen sind. Dennoch, das Finanzielle entpuppte sich nicht als das größte Problem. Auch nicht, die Leute zu überzeugen wegzuziehen. „Viele saßen während des Hochwassers verzweifelt auf ihren Dächern und hatten fürchterliche Angst. Die musste man nicht überzeugen."

Das größte Problem lag vielmehr darin Ersatzgrundstücke zu finden. Wir Bürgermeister haben uns zusammengesetzt und nach langer Suche gottseidank Baugründe in Walding gefunden." Nur die Erwartungshaltung, die bei den Betroffenen gleich nach dem Hochwasser durch schnelle Versprechungen von Landespolitikern geweckt wurde, konnte damit oft nicht erfüllt werden. Die Leute wollen kein übriggebliebenes Grundstück irgendwo am Rand haben, sondern etwas Gleichwertiges. „Da mussten wir sehr viele Gespräche führen und sensibel vorgehen. Letztenendes haben wir leistbare Grundstücke gefunden, die die Leute auch akzeptiert haben. Die Vergabe dieser Gründe ist dann nochmals ein heikles Thema."

Absiedlung bringt Probleme für die Gemeinde

Beim Absiedlungskonzept zahlen die Bewohner der betroffenen Gebiete unbestritten am meisten drauf, doch auch für die Gemeinde tauchen Probleme auf. Für jene, die bleiben, müssen Kanalisation und Leitungen instandgehalten werden, bei drastisch gesunkenen Einnahmen, da rund 40 Objekte fehlen.

Auch um den Kindergarten und die Schule macht sich Johann Müllner sorgen. Mit rund 1000 Einwohnern ließen sie sich noch betreiben. Plötzlich hat die Gemeinde 150 Bürger verloren, und mit 850 Einwohnern wird der Betrieb schon knapp. Sollten sie zusperren müssen, werden auch die Jungen im Ort schwinden.

Dass die Einwohnerzahl wieder steigt, wird schwierig. Leerstand gibt es in Goldwörth nämlich keinen und verfügbaren Baugrund auch nicht. Das Gemeindegebiet, das von Hochwasserbauten geschützt und als Bauland gewidmet ist, ist sehr begrenzt. Gerne hätte Müllner zehn Hektar mehr vom Damm umschlossen bekommen, doch da bleibt das Land hart. Ebenso wie beim Bauverbot in der Absiedlungszone.

Die Bauern wollten einen Unterstand, um zumindest ihre Gerätschaften vor Ort abstellen zu können und auch den anderen Grundbesitzern bereitet das strikte Verbot Probleme. Ihre Parzellen sind als Grünland zu erhalten, was bedeutet, dass zumindest zwei mal im Jahr gemäht werden müsste. Die Gemeinde Goldwörth, die selbst keinen Bauhof besitzt, versucht zu helfen so gut sie kann. Einfach ist es jedoch nicht. Bis 2020 müssen sich alle Bewohner entschieden haben, ob sie gefördert absiedeln, bis 2022 muss alles abgeschlossen sein.

verlassenes Haus
Wer das Absiedlungsangebot annimmt, hat Abrisspflicht. Der Baugrund wird zu Grünland.