Michael Müller, Bürgermeister im bayrischen Geretsried, Reinhold Höflechner (Straß-Spielfeld), Landtagabgeordneter Werner Friedl (Bürgermeister von Zurndorf) und Gerhard Zapfl (Nickelsdorf)

Viele Aufgaben, aber wenig Kompetenzen

KOMMUNAL sprach mit den Bürgermeistern jener Gemeinden, die in den vergangenen Wochen am stärksten im Blickpunkt der Medien waren, wie sie die Flüchtlingskrise erleben. Zu Wort kommt auch der Stadtchef aus dem bayerischen Freilassing, der von der „anderen“ Seite der Grenze berichtet.

Die Bürgermeister jener österreichischen Gemeinden, die am stärksten vom Flüchtlingsstrom betroffen sind, luden zu einem Pressegespräch ins burgenländische Nickelsdorf ein, wo heuer bereits über 300.000 Flüchtlinge die Grenze passierten. Der Hausherr, Nickelsdorfs Ortschef Gerhard Zapfl, und sein Kollege Reinhold Höflechner aus dem steirischen Straß-Spielfeld beklagten die fehlende Unterstützung durch die Bundesregierung. Sie forderten eine Lösung des Problems auf europäischer Ebene sowie eine Sicherung der Außengrenze der EU. Auf nationaler Ebene verlangten die Bürgermeister einen verstärkten Grenzschutz, aber „möglichst ohne Zäune“ bzw. nur solchen Zäunen, die helfen, den Menschenstrom besser zu kanalisieren. „Ein Zaun soll die Grenze nicht dicht machen, sondern nur eine geordnete Abwicklung ermöglichen“, meinte Reinhold Höflechner nach seinen Erfahrungen, die er an der steirisch-slowenischen Grenze gemacht hatte.

Nickelsdorf: Bundesregierung war nicht erreichbar



Von August bis Mitte Oktober haben rund 300.000 Menschen die Grenze bei Nickelsdorf passiert, wie Bürgermeister Zapfl berichtet. Die Menschen mussten versorgt und medizinisch betreut werden. „Anfangs sind die Leute dann mit Zügen weitergereist. Als das nicht mehr so geklappt hat, war der Ort wie belagert“, erzählt Zapfl. „Ich habe dann verzweifelt versucht, jemanden von der Bundesregierung zu erreichen.“ Im Büro Faymann habe man ihn aber gesagt, dass der Bundeskanzler für ihn nicht zu sprechen sei. Lediglich Landeshauptmann Hans Niessl habe ihn unterstützt und von ÖBB-Chef Christian Kern Busse und Sonderzüge organisiert. „Er hat sich auch bereiterklärt, die Kosten für die Müllentsorgung zu übernehmen“, lobt der Bürgermeister.



Begeistert war er von der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. „Es hat sich schnell eine Initiative ,Nickelsdorf hilft‘ gebildet, die Spenden entgegengenommen und teilweise selbst Hilfsgüter eingekauft, teilweise dem Roten Kreuz weitergegeben hat. Ein Autohaus hat ein großes Zelt zur Verfügung gestellt, in dem Hilfsgüter gelagert werden konnten. Seitens der Gemeinde haben wir den Bauhof für die Übernahme von Kleidung zur Verfügung gestellt. Und in einer ehemaligen Polizeidienststelle wurden Lebensmittel gelagert.“ Auch die Zusammenarbeit mit Rotem Kreuz, Polizei und Bundesheer hat sehr gut funktioniert.



„Als Bürgermeister hat man in der Situation viele Aufgaben, aber wenige Kompetenzen“, klagt Zapfl. „Meine Sorge war, dass Rechtspopulisten eine Hektik in die Situation bringen. Darum habe ich immer versucht, die Bevölkerung auf allen möglichen Kanälen so gut wie möglich zu informieren.“ Glücklicherweise sei der soziale Friede erhalten geblieben.



Wichtig sei es auch, nicht nur die eigene Bevölkerung zu informieren, sondern auch die Flüchtlinge aufzuklären, was passiert. „Es hat keinen Sinn, Zäune aufzustellen, aber man muss die Menschenströme lenken und den Leuten sagen, warum gewisse Maßnahmen nötig sind bzw. warum sie warten müssen. Die verstehen das dann schon.“

Straß-Spielfeld: Bürger hatten Angst



„Das wichtigste ist, die Bürger zu informieren“, meint der Bürgermeister von Straß-Spielfeld, Reinhold Höflechner. Wie das gemacht wird? „Die Gemeindehomepage wird laufend aktualisiert, damit die Menschen wissen, wie sich die Lage an der Grenze entwickelt. Ganz wichtig ist natürlich auch der persönliche Kontakt“, erzählt Höflechner. Für die unmittelbar im Grenzgebiet lebenden Bewohner und die Vertreter der dort ansässigen Gewerbebetriebe wurde eine eigene Veranstaltung gemacht



„Als tausende Flüchtlinge aus dem Sammelraum ausgebrochen sind und sich zu Fuß auf den Weg gemacht haben, haben natürlich viele Menschen Angst bekommen. Das ist verständlich, denn es wurde das Leben in der Gemeinde direkt betroffen“, berichtet der Bürgermeister. So konnten etwa keine Busse mehr fahren, und Schulkinder konnten nicht nach Hause kommen. „Ich habe dann Landeshauptmann Schützenhöfer kontaktiert, und er hat massiv bei der Innenministerin interveniert, dass die Einsatzkräfte aufgestockt werden.“ So konnte die Situation dann nach drei Tagen unter Kontrolle gebracht werden. Auch beim Breitstellen von Bussen für den Weitertransport der Flüchtlinge habe der Landeshauptmann geholfen.



Die Gemeinde unterstützt die Einsatzkräfte nach besten Möglichkeiten. Benötigt werden oft einfache Dinge wie Tische oder Schläuche der Feuerwehr. Die Zusammenarbeit mit Polizei und Bundesheer funktioniert sehr gut.



Mit dem Bürgermeisterkollegen auf slowenischer Seite hat Höflechner derzeit keinen Kontakt. „Zu ,Normalzeiten‘ treffen wir uns regelmäßig, aber im Moment haben wir wohl beide zu viel um die Ohren“, sagt er. „Es hätte auch gar keinen Sinn, wenn wir mehr zusammenarbeiten würden, weil wir auf Gemeindeebene kaum Kompetenzen haben, um einander zu helfen.“ Auf behördlicher Ebene funktioniere die Kooperation mit den Slowenen auf jeden Fall hervorragend.

Freilassing: Tagestouristen aus Österreich bleiben aus



„Wenn ich aus meinem Fenster vom Rathaus herunterschaue, dann sehe ich sofort, dass das Leben nicht mehr so ist, wie es vor Einführung der Grenzkontrollen war“, sagt Josef Flatscher, Bürgermeister im bayerischen Freilassing. Gerade eben habe er mit einem Restaurantbesitzer gesprochen, der ihm sein Leid geklagt hat: Normalerweise kommen viele Gäste aus dem Salzburger Land, die oft nur zum Mittagessen über die Grenze fahren. „Die kommen jetzt nicht mehr, weil es sich wegen der Grenzkontrollen zeitmäßig nicht ausgeht“, so Flatscher. Den Geschäften in der Stadt gehe es ähnlich, weil die Österreicher nicht im Stau stehen wollen, wenn sie nach Deutschland zum Einkaufen kommen.



Der Bürgermeister erklärt, wie der Migrationsstrom von den Behörden organisiert wird: „Die Flüchtlinge werden von den Österreichern an die Grenze gebracht und in einem gewissen Rhythmus mit Bussen zu uns nach Freilassing gebracht. Hier werden sie in einem stillgelegten Möbelhaus, wo maximal 14.000 Menschen Platz haben, untergebracht. Dort werden Fingerabdrücke genommen und es wird ein oberflächlicher Gesundheits-Check gemacht.“ Dann müssen die Leute warten, bis ein Sonderzug am Bahnhof bereitsteht. Wenn das der Fall ist, werden die Leute dann wieder mit Bussen dorthin gebracht. Damit ein Zug voll wird, müssen 14 oder 15 Busse fahren. Am Bahnhof stehen Zelte, und zur Absperrung wurden Gitter aufgestellt. „Das sieht natürlich nicht sehr einladend aus“, so der CSU-Mann.



Seiner Ansicht nach könnte die Logistik verbessert werden, wenn man es machen würde, wie es vor Inkrafttreten des Schengen-Abkommens war. „Damals befanden sich die Grenzeinrichtungen auf Salzburger Seite, das war vertraglich so geregelt. Die Einrichtungen stehen teilweise noch bis heute dort und könnten zur Abwicklung genutzt werden.“ Beim Bahnhof sei es ähnlich. „Man könnte sich also das zweimalige Verladen der Flüchtlinge in Busse ersparen. Das wäre für alle Beteiligten angenehmer. Wir haben das den deutschen Behörden auch vorgeschlagen, und ich weiß, dass es österreichische Bürgermeister bei den bei ihnen zuständigen Stellen ebenso gemacht haben“, so Flatscher.



Die Stadt habe aber leider keinerlei Kompetenzen, um die Situation zu beeinflussen. „Auch das erwähnte leerstehende Möbelhaus wurde von den Behörden einfach annektiert.“ Die Stadt wurde nicht einmal gefragt.



Flatscher: „Die Situation ist oft zum Aus-der-Haut-Fahren.“ Was rät er Bürgermeistern, die in einer ähnlichen Lage sind? „Ruhig bleiben, man kann ohnehin nur wenig machen.“ Das einzig Tolle an der Situation ist aus seiner Sicht, dass es nach wie vor ein sehr großes ehrenamtliches Engagement gibt.



Bei der Pressekonferenz in Nickelsdorf war auch der UNO-Experte Kilian Kleinschmidt anwesend, der in Jordanien eines der größten Flüchtlingslager der Welt geleitet hat. Er hob die wichtige Funktion, die Gemeinden weltweit bei der Versorgung von Flüchtlingen haben, hervor. „Nur zehn Prozent der Flüchtlinge leben in Lagern. 90 Prozent werden von anderen Menschen, also in den Kommunen, versorgt.“ Er verwahrte sich dagegen, dass Menschen, die vor Not und Elend davonlaufen, als Wirtschaftsflüchtlinge verunglimpft werden. Auch materielle Not sei ein Fluchtgrund. Kleinschmidt krisierte, dass im vergangenen Jahr weltweit insgesamt nur 24,5 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe – Ausgaben für Katastrophenhilfe bereits inkludiert – ausgegeben wurden.



Die Nahost-Expertin Karin Kneissl musste die Teilnahme an der Veranstaltung kurzfristig absagen, meldete sich aber mittels einer Videobotschaft, in der sie versuchte, auf die wichtigsten Fragen zum Flüchtlingsthema eine Antwort zu geben. Schon zu diesem Zeitpunkt – noch vor den Anschlägen von Paris - räumte sie ein, dass die Terrorgefahr hoch sei.



Allerdings warnte sie davor, Flüchtlinge als potenzielle Terroristen zu verunglimpfen. Schließlich seien die Menschen gerade vor dem Terror davongelaufen. „Absolute Sicherheit, dass unter den Tausenden keine möglichen Attentäter sind, kann es nicht geben“, so Kneissl.