Kinder in einer Gruppe vor einem Kindergarten
Der Kindergarten in Deutsch Schützen ist der zweitälteste im ganzen Burgenland.

„Man muss immer am Ball bleiben“

Deutsch Schützen-Eisenberg ist seit 2008 beim Audit familienfreundlichegemeinde und schaffte den Übergang von der Abwanderungs- zur Zuwanderungsgemeinde.

Obwohl kein Zug ins Südburgenland fährt, ist man mit dem Bus von Wien aus in eineinhalb bis zwei Stunden „unten“. Das Vorurteil vom infrastrukturell schlecht angebundenen Südburgenland bestätigt sich aber wieder, wenn man von der Bezirkshauptstadt in die Grenzregion möchte. 42 Minuten mit dem Bus, mit dem Auto bräuchte man nur 20 Minuten. Treffpunkt ist daher am Oberwarter Hauptplatz. Ein grünes Hemd kündigte Vizebürgermeister Herbert Weber als Erkennungszeichen per SMS an.



Wer von Oberwart startet, ahnt nicht, welch landschaftliche Pracht sich hinter dem kleinen Waldstück nach Großpetersdorf auftut. Weichen die Bäume bei der Autofahrt in die 1.127 Einwohner große Gemeinde zurück, wird der Blick auf eine schier unendliche Weite umringt von Weinreben frei. Das ist also jene Gemeinde, die mit dem Audit familienfreundlichegemeinde fast Unmögliches geschafft hat, nämlich die Abwanderung zu stoppen und Jungfamilien anzusiedeln.



Auf der Straße entlang des Eisenbergs fahren wir am barrierefrei zugänglichen Panoramasteg vorbei, eine der ersten Maßnahmen. Er gibt den Blick über die Gemeinde, aber auch bis nach Ungarn auf die Großstadt Szombathely (fast 80.000 Einwohner) frei. Bis 1920 gehörten die fünf Ortsteile Deutsch Schützen, Eisenberg an der Pinka, Höll, St. Kathrein und Edlitz noch zu Ungarn. Damals hatte die Gemeinde mehr als 2.000 Einwohner. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Zuteilung zu Österreich setzte die Abwanderung ein. Heute gibt es im Ort nur mehr wenige Betriebe. Der Weinbau dominiert. Außerdem gibt es eine Greißlerei, zwei kleine Tischlereien und das Lagerhaus. „Würden wir noch zu Ungarn gehören, läge die Gemeinde nahe der Großstadt“, meint Weber, der im Zivilberuf Lehrer und Winzer ist, etwas wehmütig.



Über die Straße, die von liebevoll restaurierten Weinkellern gesäumt wird, geht es entlang der Grenze in den Hauptort Deutsch Schützen. Die ersten Siedler – Bogenschützen – haben zum Namen der Gemeinde beigetragen. Hier befinden sich Gemeindeamt, Kindergarten und Volksschule. Der Kindergarten ist der zweitälteste im ganzen Burgenland. Aber nur, weil die Eröffnung am Nachmittag erst stattfand. Der älteste Kindergarten wurde am Vormittag desselben Tages eingeweiht.



Das Gemeindeamt wirkt einladend. Das Bürgermeisterbüro lässt nicht auf bürgermeisterliche Großmannssucht schließen: Ein einfacher Schreibtisch – gut gefüllt mit Arbeit und eine Besprechungsecke mit Ledercouch, Sesseln und Tisch, die wahrscheinlich schon vom ersten Bürgermeister genutzt wurden. Ortschef Franz Wachter und sein Vize Herbert Weber teilen sich die Arbeit in der Gemeinde gut auf. „Ehrlich gesagt, ich hätte mir so ein großes Projekt nicht angetan. Aber Herbert als Projektleiter macht das sehr gewissenhaft“, gibt Wachter schmunzelnd zu. Weber fügt an: „Es hängt schon viel Arbeit dran. Die Schwierigkeit ist, das ehrenamtliche Engagement über so lange Zeit aufrecht zu erhalten. Aber wir haben sogar das ohne Hilfe von außen geschafft.“

 

Vizebürgermeister Herbert Weber managt das Audit familienfreundlichegemeinde seit 2008. Sein Credo: „Nicht jede Maßnahme muss Unmengen an Geld kosten, damit sich was tut.“ Diesem Credo folgend wurden Maßnahmen wie ein Familienwegweiser oder flexiblere Öffnungszeiten im Kindergarten umgesetzt.

Offensiver Kampf gegen die Abwanderung



Die Vereinsobleute sowie Vertreter der unterschiedlichen Altersstufen und Parteien bildeten 2008 das erste Projektteam. Ein Katalog mit 23 Maßnahmen entstand daraus. Mit dem Familienwegweiser, günstigen Startwohnungen, Ansiedlungsförderung, erweiterten Öffnungszeiten und der flexiblen Feriengestaltung im Kindergarten, einem Schulstartpaket für Familien mit vielen Kindern, besserer Busanbindung an den Bezirksvorort, einem Willkommenspaket und einem Kennenlerntreffen gingen die Projektmitglieder den Kampf gegen die Abwanderung offensiv an.

Nachbarschaftshilfe fördern



Aus manchen Maßnahmen ergaben sich auch weitere. Günstige Startwohnungen für junge Leute entstanden, aber auch barrierefreie Wohnungen für ältere Bürger. In der Nähe des Gemeindearztes stehen nun drei eingeschoßige Bauten für betreubares Wohnen, in denen im ersten Stock Familien wohnen und unten ältere Personen. „Hier soll die Nachbarschaftshilfe gefördert werden“, erklärt Weber. Nachbarschaftshilfe wird auch im Sozialverein „Leben im Dorf“ von den 200 Mitgliedern gelebt. Mit fünf Euro Beitrag für Senioren und 15 Euro für Familien ist man dabei. Hier kann man Krücken oder um zehn Euro auch ein Krankenbett leihen. Im Vordergrund steht aber die gegenseitige Hilfe. „Manche haben eine Scheu mit den Sozialbehörden in Kontakt zu treten. Dabei helfen wir“, so Weber. Bereits im ersten Auditprozess gewollt, aber nun umgesetzt wurde die Anstellung einer Sozialarbeiterin, die sich um kleinere Dinge wie Besuche oder Medikamentenkäufe kümmert.



Beim Re-Audit, das gerade in Vorbereitung ist, bleibt das Ziel dasselbe, aber die Maßnahmen werden an die Bedürfnisse angepasst. „Am Anfang so eines Workshops werden immer infrastrukturelle Maßnahmen genannt. Erst, wenn man sich von dem etwas löst, kommen Gedanken und Ideen, die nicht unbedingt mit Geld zu tun haben. So wünschten sich bei dieser Runde viele Schwimmkurse oder Kulturfahrten. Dabei geht es nur darum, einen zu finden, der das organisiert“, betont Weber.

Breitbandversorgung ist schwierig



Eine große Maßnahme, die viel Geld kostet, blieb aber trotzdem über. Bei der Umfrage, die den Workshops vorangegangen ist, wünschten sich die Bürger Breitbandinternet. Gleichzeitig ist das auch die am schwierigsten umzusetzende Maßnahme, wie Bürgermeister Wachter erzählt: „Vor allem in den Ortsteilen St. Kathrein und Edlitz braucht man das Internet gar nicht erst aufdrehen, weil es so langsam ist. Wir haben schon Gespräche mit A1 geführt. Die Verkabelung zahlt sich dort nicht aus, aber wir haben Verbesserungen erreicht.“ Wie wichtig diese Maßnahme vor allem im Hinblick auf das Ziel, Zuwanderung weiter zu fördern, wäre, ist beiden bewusst: „Egal, ob für die Arbeit oder das Studium, Internet ist dafür unbedingt notwendig. Man könnte so viele Dinge auch von zu Hause erledigen.“



In den letzten Jahren wurde das Südburgenland auch für Tages- oder Wochenpendler nach Wien attraktiv. Mit der guten Busverbindung ist der lange Weg keine große Hürde mehr. Auch die Lücke zwischen Oberwart bzw. Großpetersdorf und Deutsch Schützen-Eisenberg wurde für Wochenpendler geschlossen: „Mit dem Ökotrip gibt es jetzt die Initiative, dass die Pendler jeden Montag nach Oberwart oder Großpetersdorf gebracht und am Freitag wieder geholt werden. In der Gemeinde bringt das Tourismustaxi seit neustem auch Einheimische von Ort zu Ort.“



Auf dem Platz vor seinem Haus sitzend hält Weber ein Glas selbst gekelterten Rotwein in der Hand und schaut sich um: „Es ist schon eine unglaubliche Lebensqualität hier. Dass das wieder mehr Menschen zu schätzen wissen, zeigt sich auch an der Nachfrage an Bauplätzen. Wir haben viel erreicht, aber wir dürfen nicht aufhören. Der Prozess muss immer wieder erneuert werden. Bei Familienfreundlichkeit gibt es kein Endstadium, sondern man muss immer wieder am Ball bleiben.“