Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
Diese Kennzahlen zeigen, trotz des teils subjektiven Charakters, dass wir in Österreich über ein sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem verfügen. Dennoch stellt die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung der Gesamtbevölkerung auf hohem Niveau eine der größten gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen dar.
Besonders im ländlichen Raum nimmt die Problematik des Bereitstellens eines bedarfsgerechten Angebots an medizinischer Versorgung zu. Zurückzuführen ist dies, neben stagnierenden Geburtenraten und einer steigenden Lebenserwartung, vor allem auf den Bevölkerungsrückgang in peripheren Regionen.
Flächendeckende ärztliche Versorgung wird nicht mehr möglich sein
Eine flächendeckende ärztliche Versorgung der ländlichen Regionen mit dem derzeitigen Konzept der klassischen Hausarztpraxis wird unter den aktuell herrschenden Rahmenbedingungen in naher Zukunft voraussichtlich nicht mehr möglich sein.
Es sind vielmehr innovative, integrative und an den Patientinnen und Patienten orientierte Versorgungsmodelle, unter Beteiligung aller Akteure des Gesundheitswesens, notwendig. Dabei sollten sowohl die unmittelbaren Leistungserbringer (zum Beispiel niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Pflegedienste, Krankenhäuser) als auch Krankenkassen und weitere Institutionen und Interessengruppen eingebunden werden.
Gibt es einen Ärztemangel?
Als eine Ursache für die angeführte Problematik wird, neben den demografischen Entwicklungen, aktuell ein drohender Ärztemangel in Österreich diskutiert. Obwohl man objektiv betrachtet festhalten muss, dass es hier divergierende Meinungen gibt, denn ob wir einen Ärztemangel, einen Überschuss, oder doch nur eine falsche Verteilung haben liegt vielfach im Auge des Betrachters. Aktuelle Studien operieren mit unterschiedlichen Zahlen und sind nur schwer miteinander zu vergleichen.
Die Ergebnisse liefern zudem breiten Raum zur Interpretation und werden oftmals lediglich dazu verwendet, um die bestehende eigene Meinung zu untermauern.
Eine vorliegende Studie der OECD kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass kaum ein anderes Land der Welt so viele Ärztinnen und Ärzte pro Kopf hat wie Österreich. Demnach rangieren wir mit 5,2 Medizinerinnen und Medizinern pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Spitzenfeld.
Als problematisch kann an dieser Studie angemerkt werden, dass für Österreich auch Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung eingerechnet werden, welche bei anderen Ländern nicht in die Berechnung der Arztdichte einfließen. Allerdings versehen auch diese Turnusärztinnen und -ärzte ihren Dienst und sind somit versorgungswirksam, es fehlt ihnen lediglich die formale Zulassung.
Verteilungsproblem
In ländlichen Räumen verschärft sich die Situation zusätzlich durch die Abwanderung junger Erwachsener, welche unter anderem aufgrund besserer Arbeitsplatzangebote in urbane Regionen ziehen.
Auf der einen Seite steigt der Bedarf an Fachpersonal, um der wachsenden Zahl älterer Menschen eine angemessene Gesundheits- und Pflegesituation bieten zu können. Auf der anderen Seite werden kaum Maßnahmen gesetzt, die es für Jungmedizinerinnen und Mediziner interessant erscheinen lassen, eine Kassenstelle auf dem Land zu eröffnen oder zu übernehmen.
Dazu kommt eine geänderte Einstellung bei der jungen Generation. Im Rahmen eines im Jahr 2017 durchgeführten Workshops der Abteilung „Evidenzbasierte wirtschaftliche Gesundheitsversorgung“ der Österreichischen Sozialversicherung mit Vertretern des Vereins „Junge Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ)“ wurde unter anderem die Erwartung einer erträglichen Arbeitsbelastung von den Nachwuchs-Allgemeinmedizinerinnen und Medizinern diskutiert. Eine ausgewogene Work-Life-Balance wird zunehmend wichtiger und eine Kombination aus hoher Verantwortung, ungeregelten Arbeitszeiten und dem großen administrativen Aufwand einer Einzelpraxis erscheinen nicht sonderlich attraktiv.
Ungünstige Honorarsituation
Neben den bereits angeführten Bereichen führen auch wirtschaftliche Gründe zu dem oben angeführten Phänomen. Aktuelle Kassentarife für Allgemeinmedizinerinnen und Mediziner erfordern eine hohe Frequenz an Patientinnen und Patienten. Sollten diese Fallzahlen nicht erreicht werden, wird es schwierig, eine Hausarztpraxis wirtschaftlich zu führen.
Aktuell bedeuten weniger Patientinnen und Patienten unweigerlich weniger Honorar, was bei einer Kassenpraxis, welche honorarbedingt auf Quantität ausgelegt ist, eben nicht funktioniert. Diese Situation ist besonders für Hausarztpraxen auf dem Land existenzbedrohend, denn im Vergleich mit Ballungsräumen hat eine Wohnbausiedlung in der Stadt manchmal mehr Menschen als das Einzugsgebiet einer ganzen Gemeinde.
Lösungsmöglichkeiten
Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es und was wird aktuell in Österreich getan, um der Problematik zu begegnen?
International betrachtet gibt es verschiedene Möglichkeiten, um Versorgungsmodelle zu gestalten, welche auch die Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen berücksichtigen. Die Struktur der Modelle sowie die Rolle der beteiligten Akteure sollten dabei in Kooperation und abhängig vom Bedarf der jeweiligen Region entwickelt werden. Beispiele hierfür wären Medizinische Versorgungszentren (auch Primärversorgungszentren oder Primärversorgungsnetze), Delegationsmodelle oder Anwendungen der Telemedizin.
Das prioritäre Ziel dieser Versorgungsmodelle sollte allerdings stets in der Bewahrung einer möglichst langen selbstständigen Lebensführung bei hoher Lebensqualität und der Förderung gesellschaftlicher Teilhabe der Patientinnen und Patienten bestehen.
Insbesondere im ländlichen Raum ergeben sich aufgrund der bestehenden Fokussierung auf den Hausarzt und der damit verbundenen stark fragmentierten und isolierten Leistungserbringung der unterschiedlichen Gesundheitsanbieter Abstimmungsdefizite und Informationsasymmetrien.
Primärversorgungszentren und Primärversorgungsnetzwerke
Diese Herausforderungen haben dazu geführt, dass im Rahmen der bundesweiten und landesspezifischen Zielsteuerungsverträge, einerseits zwischen Bund und Ländern sowie andererseits den gesetzlichen Krankenkassen, die wohnortnahe Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt aktueller Reformbemühungen gestellt wurde. In Österreich hat man sich dafür entschieden, Primärversorgungszentren sowie Primärversorgungsnetzwerke zu etablieren.
Dabei soll die primäre Gesundheitsversorgung durch ein neues, multiprofessionelles und interdisziplinäres Versorgungskonzept sichergestellt werden, welches die bisher isoliert agierenden Health Professionals im Rahmen eines räumlichen Primärversorgungszentrums oder eines virtuellen Primärversorgungsnetzwerkes organisiert und miteinander verknüpft.
Landarztspezifische Unterrichtsangebote in der medizinischen Aus- und Weiterbildung
Eine weitere Möglichkeit der drohenden hausärztlichen Unterversorgung auf dem Land entgegenzuwirken setzt bereits bei der Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte an. Eine Möglichkeit wäre die Verankerung von landarztspezifischen Unterrichtsangeboten in der medizinischen Aus- und Weiterbildung. Für die Unterrichtsangebote würden sich praktische Anteile in ländlichen Einrichtungen wie beispielsweise Landarztpraxen und Gesundheitszentren anbieten, welche etwa durch die Vergabe von Stipendien zusätzlich attraktiviert werden könnten.
Telemedizinische Möglichkeiten
Eine weitere Steigerung der Produktivität in der Primärversorgung kann auch durch den Einsatz der in den letzten Jahren deutlich verbesserten und ausgeweiteten telemedizinischen Möglichkeiten erzielt werden. Das gilt etwa für die Telekommunikation und Kooperation zwischen Hausärztinnen und Ärzten sowie nichtärztlichen Gesundheitsberufen und für das Telemonitoring von chronisch kranken Patientinnen und Patienten.
Conclusio
Führende Gesundheitsexperten sind der Meinung, dass wir keinen Ärztemangel haben, sondern einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten die bereit sind, unter den bestehenden Rahmenbedingungen auf einer Kassenstelle zu arbeiten.
Wenn es gelingt, geeignete und finanziell tragfähige Geschäftsmodelle für Landärztinnen und Landärzte zu entwickeln und zusätzlich ein integratives Versorgungsmodell, welches weitere Möglichkeiten der Primärversorgung patientenorientiert und nach räumlichen Erfordernissen kombiniert, sollte es auch zukünftig möglich sein, die Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen auf hohem Niveau sicherzustellen.
Quellen
OECD - Health at a Glance 2019, https://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/health-at-a-glance_19991312, abgerufen am 14.2.2020.
OECD – Better Life Index (BLI), http://www.oecdbetterlifeindex.org/de/topics/health-de/, abgerufen am 14.2.2020.
Ärztekammer für Wien, https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20161107_OTS0080/oesterreich-bei-oecd-aerztedichte-abgeschlagen-auf-platz-13