Bodenschutz / Standortentwicklung
Den Brachen den Kampf ansagen
Oberösterreich wollte es genau wissen und hat eine praktikable Definition erarbeitetet und eine eigene Erhebungssystematik entwickelt, die 2018 und 2021 zum Einsatz kam. Mit den Daten können weitere Schritte gesetzt werden.
Neben der Bewusstseinsbildung für die Thematik und die Priorisierung der Flächen, ist die Sichtbarmachung in der oberösterreichischen Standortdatenbank, die Revitalisierung von Brachen sowie deren Prämierung mit dem #upperRegion Award bereits gelungen.
Das sind motivierende Beispiele, wie sich Bodenschutz und aktive Standortentwicklung verbinden lassen. Ein Vorbild für ganz Österreich.
Entwicklung nach innen anstatt nach außen
In der medialen Diskussion rund um Klimaschutz wird auch die Bodenversiegelung immer wieder genannt. Wenn es gelingt, bei Bauvorhaben nicht nur die „grüne Wiese“ in den Blick zu nehmen, sondern auch bereits bebaute, jedoch brachgefallene Flächen und leerstehende Gebäude in Betracht zu ziehen, kann ein aktiver Beitrag zur ressourcenschonenden Bodennutzung geleistet werden, zu dem sich Oberösterreich bekennt.
„In unserer oberösterreichischen Raumordnungsstrategie #upperREGION2030 haben wir festgelegt, dass wir in unseren Städten und Gemeinden eine Entwicklung nach innen anstatt nach außen fördern wollen - durch die Aktivierung von Baulandreserven, Leerständen und Brachflächen. Wir haben uns das klare Ziel gesetzt, die Verbauung von Flächen einzudämmen, Grünräume zu sichern sowie unsere Orts- und Stadtkerne als lebendige Lebens- und Arbeitsräume zu erhalten und zu stärken. So sollen für Betriebsansiedlungen oder -erweiterungen möglichst vorhandene leerstehende Gebäude oder brachliegende Flächen genutzt werden anstatt Flächen neu zu widmen. Dadurch schützen wir unsere Bodenressourcen, leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und sichern so unsere Lebensqualität“, betont Wirtschafts- und Raumordnungs-Landesrat Markus Achleitner.
Um diese aktive Rolle im Management von Brachen und Leerständen einnehmen zu können, sind valide Datengrundlagen eine wesentliche Voraussetzung. Daher wurden bereits 2018 und erneut 2021 leerstehende Gewerbe- und Industriebrachen in den oberösterreichischen Gemeinden durch die Business Upper Austria gemeinsam mit der FH OÖ erhoben.
Was sind Industrie- und Gewerbebrachen?
Im Vordergrund der Erhebung standen ausschließlich bebaute Areale, also keine Baulandreserven, die ebenso umgangssprachlich als Brache bezeichnet werden. Daher wurden Industrie- und Gewerbebrachen als ehemalige Produktions- und Lagerflächen unterschiedlicher Industriezweige sowie ungenutzte Gewerbeflächen des Handwerks oder Handels zusammengefasst.
Um ein gemeinsames Verständnis zu erzielen, wurden die Typologien der potenziell gesuchten Areale aufgelistet, so z. B. auch landwirtschaftliche Objekte, die ehemalig gewerblich genutzt wurden, Gastronomieobjekte, ehemalige Bahnhofsareale usw. Sowohl die befestigen Manipulationsflächen wie auch Betriebsgebäude waren Teil der Definition.
Um kurzfristige Betriebsausfälle, Eigentümerwechsel, oder Stillstände im üblichen Lebenszyklus einer Immobilie auszuschließen, wurde ein dreijähriger Zeitraum festgelegt, seitdem die betriebliche Immobilie nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt genutzt wurde.
In der Erhebung von 2018 wurden gewisse Widmungen als Voraussetzungen definiert (I für Industriegebiete, B für Betriebsbaugebiete, MB eingeschränktes gemischtes Baugebiet, S für Sondergebiete des Gewerbes und des Handels). In der zweiten Erhebung, drei Jahre später, wurde die Einschränkung der Widmung nicht mehr vorgenommen, um auch betriebliche Leerstände im Wohn-, Dorf- oder Kerngebiet zu erfassen.
Mit der Klärung der Definition, die in der Praxis auf Verständlichkeit und Vollständigkeit geprüft wurde, konnte eine geeignete Erhebungsmethodik entwickelt werden.
Erhebungsmethode: Ein digitaler Fingerzeig
Anstatt z. B. persönlich die Bürgermeisterin vor Ort nach der nächsten Industriebrache in ihrer Gemeinde zu fragen, wurde ein bereits vertrautes System verwendet, um alle Gemeinden gleichzeitig nach ihren Industrie- und Gewerbebrachen zu fragen. Sie gelten auch als die wissende Community, also die Crowd, die die Kenntnisse vor Ort haben.
Ihre Antwort wurde mit Hilfe eines digitalen Fingerzeigs im landesweiten Geo-Informationssystem „DORIS“ (Digitales Oberösterreichisches Raum-Informations-System) eingetragen, auf das alle Gemeinden Zugriff haben. In einem eigens angelegten Layer wurden sie daher gebeten, alle Brachen, die der gesuchten Definition entsprachen, mit einem Markierungspunkt zu versehen.
„Die eingesetzte Technologie ermöglicht (..) nicht nur Abfragen, sondern man kann damit auch Punkte, Linien und Flächen dezentral digitalisieren und in der zentralen Geodatenbank abspeichern,“ so Markus Lackinger, GIS-Administrator in der DORIS-Gruppe im Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, der für die technische Umsetzung und entsprechende Einrichtung verantwortlich zeichnete.
Wenig Aufwand für Gemeinden
Die Gemeinden mussten nur in DORIS einsteigen, wo sie bereits durch ihre Gemeindekennung in der richtigen Gemeinde waren und dann die jeweilige(n) Brache(n) in ihrem Gemeindegebiet durch Mausklick kennzeichnen. Der zeitliche Aufwand für die Gemeinden war sehr zeitschonend und schnell zu erledigen.
Zudem gab es die Möglichkeit, einige wenige, vorwiegend geschlossene, Fragen zur jeweiligen Brache zu beantworten, wie zum Beispiel bekannte Vornutzungen, seit wann die Brache leer steht, Einschätzung der Entwicklungsinteressen der Eigentümerinnen oder Eigentümer bzw. der Gemeinde selbst.
Unterstützend konnten sich die Gemeinden bei offenen Fragen an die Business Upper Austria (2018) bzw. die FH OÖ (2021) wenden. So wurde auch nochmals gezielt zur Teilnahme motiviert.
Unterschiedliche Datenmodelle als Herausforderung
Um aus dem Markierungspunkt, dem „digitalen Fingerzeig“, ein Polygon zu erhalten, mussten nun die dazu gehörigen möglichen Projektflächen nachgezogen werden.
Für die konkrete Abgrenzung wurden die Eigentumsverhältnisse, Widmungsgrenzen und potenzielle Erweiterungsflächen herangezogen.
Nach der Erfassung der Industrie- und Gewerbebrachen bzw. innerörtlichen betrieblichen Leerstände durch die Gemeinden, erfolgte eine großteils automatisierte, räumliche Datenverschneidung mit vorhandenen Fachdaten in der DORIS-Geodatenbank, die mehr als 1.100 Datenlayer mit Raumbezug aufweist. Unterstützt wurde das Projektteam wiederum von der DORIS-Gruppe.
„Die Herausforderung dabei waren die unterschiedlichen Datenmodelle, in denen die Geodaten vorliegen. Diese Heterogenität ist weniger ein technisches Problem, sondern bedeutet erheblichen Zeitaufwand in der manuellen Aufbereitung der Daten. Auch die unterschiedliche Topologie (Punkte, Linien, Flächen) und deren Datenmenge, von einigen Hundert Objekten bis zu mehreren Hunderttausenden, erfordert die Verwendung von verschieden Analysetools. Es war daher nicht ohne weiteres möglich, mit einem Werkzeug alle Themen ‚auf Knopfdruck‘ auszuwerten, wodurch jede Änderung in den Ausgangsdaten (neue Brachflächen) ein manuelles Zusammenspielen der verschiedenen Analyseresultate auslöste,“ so der GIS-Projektleiter der DORIS-Gruppe, Peter Sykora.
Einzigartige Datenmatrix zu Industrie- und Gewerbebrachen
Entstanden ist dadurch eine bisher einzigartige Datenmatrix zu Industrie- und Gewerbebrachen, die in weiterer Folge nach verschiedenen Aspekten ausgewertet werden konnte.
Die gewählte Vorgehensweise war vorteilhaft, weil sie für die Wissenden, nämlich die Gemeinden, einfach und schnell anzuwenden war. Ergänzend wurden im Hintergrund zusätzliche Informationen verschnitten, die eindeutig durch den Geocodierungspunkt zuzuordnen waren. Gemeinde- und grundstücksbezogene Informationen wie geogene Risiken, Altlasten, Widmungen, Entfernungen zu bzw. das Vorhandensein von Infrastruktureinrichtungen wie z.B. höherwertige Straßen, KV-Leitungen, Breitband etc. boten eine breite Informationsbasis.
Landesrat Günther Steinkellner unterstreicht die Bedeutung von DORIS in diesem Projekt: „Es bietet eine Fülle an geografischen Informationen, welche von der Fachabteilung Geoinformation und Liegenschaft kompetent betreut und gepflegt werden. Durch spannende – wie das hier vorgestellte – Projekte konnten die Kompetenzen und Dienstleistungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich vertieft und ausgeweitet werden. Anspruchsvolle Aufgabenstellungen, bei denen Know-how generiert wird und der Wissensaustausch mit Partnern eine Symbiose bildet, sind die Triebfeder der Entwicklung und Sinnbild für unser erfolgreiches Bundesland. Auch zukünftig soll durch den Ausbau an leistungsstarken Services, der Bereitstellung von Expertise und gemeinsamen Projekten die qualitative Vielfalt an Geoinformationen gewährleistet werden.“
Erkenntnisse
2018 wurden 103 Industrie- und Gewerbebrachen mit einer Gesamtfläche von rund 68 ha identifiziert. Drei Jahre später waren es 277 Brachen und Leerstände unter der erweiterten Definition mit einer Fläche von 110,6 ha. Widmungsgleich in den beiden Erhebungszyklen waren es 85,5 ha mit 110 Brachen. Die Verteilung von Leermeldungen (roter Rahmen), Brachenmeldungen (gelb) und Nichtteilnahme (blauer Rahmen) ist in der Abbildung 1 ersichtlich.
Die hohe Teilnahmequote (2018 = 93 Prozent der 440 Gemeinden, 2021 = 95 Prozent der 438 Gemeinden) unterstreicht, dass die Erhebungsmethodik für die Gemeinden ein praktikables Instrument zu sein scheint.
Es zeigte sich, dass die Größen der erhobenen Brachen stark variieren. Sowohl 2018 als auch 2021 dominieren die Brachen bis zu einer Größe von 5.000 m² (2018 53 Prozent, 2021 58 Prozent der erfassten Brachen). Brachen von mehr als einem Hektar Flächen treffen nur auf rund jede fünfte Brache zu (2018 18,4 Prozent, 2021 20 Prozent), wie dies in der Abbildung ersichtlich ist. Die Erfahrungen zeigen, dass bei nationalen und insbesondere bei internationalen Betriebsansiedelungen größere Flächen von mehreren Hektaren angefragt werden.
Brachen eignen sich nicht unbedingt für betriebliche Nachnutzung
Die Auswertung der Brachen und Leerstände mit den verschnittenen Daten zeigte auch, dass die Lage der Brachen sich nicht uneingeschränkt für eine Nachnutzung betrieblicher Natur eignen, insbesondere wenn damit Lärm, Emissionen, Verkehrsaufkommen usw. verbunden sind. Im Umkreis mancher Brachen hat sich mittlerweile eine Siedlung entwickelt. In einem solchen Fall braucht es alternative Nachnutzungskonzepte, die Anrainer entsprechend berücksichtigen.
Mit diesem exemplarischen Einblick in die Ergebnisse wird deutlich, dass neben der Einzelbetrachtung auf Brachenebene eine aggregierte Darstellung aufschlussreich sein kann, wo sich Brachen befinden, in welcher Größe und in welchem Ausmaß. Diese Informationen sind für die weitere Entscheidungen, Priorisierungen oder ein potenzielles Matching zwischen Angebot und Nachfragen nützlich.
Nachnutzungsleitfaden soll unterstützten
Die oberösterreichische Standortagentur hat mit den gewonnenen Erkenntnissen bereits weitere erfolgreiche Schritte gesetzt. Ein Nachnutzungsleitfaden soll zukünftig verschiedene Stakeholder noch weiter unterstützen.
„Im Kontext der Leerstände wird aktuell auch ein Aktionsprogramm entwickelt, das Impulse für die Belebung von Orts- und Stadtkernen setzen möchte. Besonderes Augenmerk liegt hier auf den investiven Fördermaßnahmen jener Gebäude, die aus Sicht der Gemeinden von besonderer Relevanz für die Entwicklung des Ortes oder Stadt haben. Die bereits im Rahmen der Industrie- und Gewerbebrachenerhebung erfassten Objekte können dabei eine wichtige Grundlage für die Gemeinden sein“, betont Heide Birngruber, Leiterin der Überörtlichen Raumordnung im Amt der OÖ Landesregierung.
Die vorliegende Erhebung scheint auf andere Bundesländer in ihrer Systematik übertragbar zu sein, da alle ein Geoinformationssystem haben. Mit Ausnahme der einwohnerstarken Städte wurde eine hohe Teilnahmequote erzielt. Jene Gemeinden noch zu motivieren mitzumachen, wird zukünftig eine Herausforderung sein. Den Weg der einfachen Erfassung sollte man dabei im Blick behalten.