Gerade im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wäre es wichtig, umsichtig und erfinderisch zu denken und den Eltern gleichzeitig echte Wahlfreiheit zu ermöglichen.
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Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung

Bonus ist keine „Herdprämie“

Soll es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag des Kindes geben? Ein überaus emotional diskutiertes Thema. Die Politik hat Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Familien organisatorisch und finanziell entlasten zu können. Eine Betreuung zu Hause entlastet dabei auch Gemeinden – ohne kreative Ansätze gleich als „Herdprämie“ abtun zu müssen. Ein Blick „über den Tellerrand“.

Für die September-Ausgabe von KOMMUNAL habe ich schon einmal über den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung recherchiert und berichtet. 

Kurz vor dem Sommer 2021 war eine Diskussion darüber entstanden, mit Forderungen nach einem Rechtsanspruch auf eine dreiwöchige Sommerschule seitens der SPÖ Oberösterreich und Tirol und einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in der Steiermark ab dem ersten und in Vorarlberg ab dem zweiten Geburtstag.

Ich habe damals außer Zweifel gestellt, dass eine flächendeckende und qualitätsvolle pädagogische Kinderbetreuung wichtig ist, um die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben zu verbessern. Außerdem habe ich einen Blick zu unseren Nachbarn nach Deutschland gewagt, die den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für Kinder im Vorschulalter bereits im Jahr 2013 umgesetzt hatten und kurz vor der Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder standen, und auf die dort bestehenden Probleme hingewiesen. 

Weiters habe ich festgehalten, dass es für Österreich langfristiger Überlegungen bedarf, um die in Deutschland aufgetretenen Schwierigkeiten zu vermeiden, und die Sorge geäußert, dass ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung womöglich eine echte Wahlfreiheit für Mütter und Väter torpediere, da der Anspruch auch dazu führen könnte, dass auf junge Eltern Druck ausgeübt wird, ab dem ersten Geburtstag ihres Kinder wieder ins Erwerbsleben einzusteigen – unabhängig davon, ob sie das wirklich wollen beziehungsweise es für ihre Familie als die beste Variante erachten. 

Quod erat demonstrandum

Wie passend die Worte „kontrovers“ und „emotional“ im Titel meines Textes für KOMMUNAL gewählt waren, war mir bei dessen Erscheinen noch nicht bewusst. Die vielen Rückmeldungen zum Artikel, die zu mehreren Telefonaten, Korrespondenzen und Gesprächsterminen führten, zeigten mir rasch die Wichtigkeit und Dringlichkeit des gewählten Themas. Und seitdem begegnet mir dieses immer wieder, weshalb mir eine weitere Auseinandersetzung damit notwendig erschien.

Es hat sich viel getan in diesem Bereich und wenn man das rhetorische Stilmittel der Übertreibung – in der Sprachwissenschaft Hyperbel genannt – wählen würde, könnte man schreiben, dass sich die Ereignisse überschlagen haben.

Kurze Zusammenfassung der Ereignisse

Im Oktober 2021 fand eine Pressekonferenz der Sozialpartner und der Industriellenvereinigung statt, bei der neben einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in zwei Etappen (ab dem 2. Geburtstag ab Herbst 2023 und ab dem 1. Geburtstag ab dem Herbst 2025) auch der mittelfristige Umbau des Ausbildungssystems mit einem Abschluss auf tertiärem Niveau gefordert wurde. Eine Verlängerung der Ausbildung erscheint unter dem Aspekt, dass derzeit schon ein Personalmangel im pädagogischen Bereich vorherrscht, der durch den Rechtsanspruch ohnehin noch verstärkt werden würde, problematisch.

Bei der Präsidiumssitzung des Österreichischen Gemeindebundes Mitte Oktober wurde der Rechtsanspruch ganz klar abgelehnt – wie Gemeindebund-Präsident Alfried Riedl kürzlich in seiner Rede beim Städtetag in St. Pölten klarstellte: „(…) weil er die Gemeinden einem nicht stemmbaren politischen, gesellschaftlichen und letztlich auch juristischen Druck aussetzt. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nach Hechtbiss und Baumhaftung auch wegen der Kinderbetreuung vor dem Richter stehen. Wir setzen uns ganz klar für einen bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung ein, wofür es auch ausreichend finanzielle Mittel von Bund und Ländern geben muss.“

Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl
Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl: „Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nach Hechtbiss und Baumhaftung auch wegen der Kinderbetreuung vor dem Richter stehen.“

Ähnliche Worte hörten wir bei der Teilnahme an der Kommunalpolitischen Kundgebung des Gemeindetags Baden-Württemberg Ende Oktober in Stuttgart. Präsident Steffen Jäger sprach besorgt an, dass die Gemeinden das Versprechen, das den Eltern und Kindern seitens des Bundes gegeben wurde, nicht einhalten könnten, da neben finanziellen und organisatorischen Problemen vor allem das Personal fehle. 

Alternative Kinderbetreuungsmodelle

Im Rahmen meiner Recherche sind mir auch alternative Modelle aus Gemeinden und Bundesländern untergekommen, die ich – um das Thema in meinem Artikel abzurunden – noch aufzeigen wollte: Das Land Oberösterreich hat zum Beispiel den Oberösterreichischen Kinderbetreuungsbonus ins Leben gerufen, der jenen Eltern, die mit ihrem Kind im gemeinsamen Haushalt leben und den bis 13 Uhr beitragsfreien Kindergarten für Kinder ab drei Jahren bis zum verpflichtenden Kindergartenjahr nicht nützen, zuerkannt wird. Er beträgt 900 Euro pro Jahr und wird in zwei Teilbeträgen ausbezahlt. 

„Bitte nennen S’ unsere Gemeinde nicht!“

Außerdem gibt es einige Gemeinden landauf, landab, die sich kreative Modelle ausgedacht haben, um Lösungen für die organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten und vor allem den Fachpädagogenmangel zu finden.

Ich habe zwei von diesen Gemeinden angerufen, kundgetan, dass ich plane, einen Artikel über Kinderbetreuung zu schreiben und ihr Modell nennen und gerne nähere Infos dazu haben möchte. Bei beiden bekam ich dieselbe Antwort: „Bitte nennen S’ unsere Gemeinde nicht!“

Auf meine Frage nach dem Grund erklärten mir beide Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung, dass sie das Modell zwar nach wie vor hätten, aber dieses schon bei Einführung für so viel Aufruhr gesorgt habe, dass sie nicht in einem Artikel genannt werden möchten. Die Situation aufgrund der Corona-Pandemie sei für die Gemeinden derzeit schon schwierig und fordernd genug. Sie hätten keine zeitlichen Ressourcen, sich mit den – nach einer Veröffentlichung ihres Modells nach eigenen Angaben zu erwartenden – weiteren Anfragen zu beschäftigen, und kein Interesse, einen erneuten Shitstorm durchstehen zu müssen.

Kreativer Ansatz vs. „Herdprämie“

Der Kinderbetreuungsbonus, der von diesen Gemeinden, ähnlich wie beim oberösterreichischen ­Modell, an Eltern, die ihr Kind – anstatt es in den örtlichen Kindergarten zu geben – zu Hause selbst betreuen, je nach Gemeinde in unterschiedlicher Höhe bezahlt wird, wurde von Kritikern schon bei Einführung vielerorts als „Herdprämie“ abgetan, den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern also unterstellt, sie möchten mit dieser Maßnahme die Frauen zurück an den Herd bringen.

Wobei man es auch positiv sehen kann: Wer seine Kinder die ersten Jahre zu Hause betreuen möchte, bekommt dafür eine gewisse Entschädigung der Kosten, die der Gemeinde durch die Bereitstellung des Kinderbetreuungsplatzes entstehen würden. Der Bonus ist allerdings in keinem Modell so hoch, dass er tatsächlich Personen davon abhält, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Daher ist es meines Erachtens sehr schade, dass Gemeinden, die ein bisschen über den Tellerrand blicken, die bereit sind, neue Wege zu gehen, und kreative Lösungen suchen und finden, derartige Reaktionen erhalten.

Gerade im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wäre es wichtig, umsichtig und erfinderisch zu denken und den Eltern gleichzeitig echte Wahlfreiheit zu ermöglichen. Dies wünschen sich auch die Eltern, wie durch eine im Sommer 2021 vom Katholischen Fami­lienverband in Auftrag gegebene Studie zum Thema „Teilzeit“ belegt wird. 

Kinderbetreuung in Österreich