Bescheide müssen durch Beschlüsse gedeckt sein

24. November 2015
Weicht ein ausgefertigter Bescheid vom Beschluss des Verbandsvorstandes ab, dann ist dies eine der Unzuständigkeit gleichkommende Rechtswidrigkeit, welche von Amts wegen aufzugreifen ist.

 



Der Gemeinderat, der Gemeindevorstand (Stadtrat) und die Gemeinderatsausschüsse fassen ihre Beschlüsse in Sitzungen (§ 44 Abs. 1 NÖ GO 1973). Dies gilt für die Verbandsorgane sinngemäß (§ 14 Abs. 1 NÖ Gemeindeverbandsgesetz).



Wenn es bei diesen Beschlüssen um die Entscheidung über Berufungen geht, sind nicht nur die Formalkriterien – wie etwa die Beschlussfähigkeit oder die entsprechende Mehrheit – zu beachten, sondern muss auch auf einen inhaltlichen Aspekt besonderes Augenmerk gelegt werden: die Beschlussdeckung. Der ausgefertigte Bescheid muss in dem gefassten Beschluss des Kollegialorganes (ausreichend) Deckung finden.



In der Praxis passiert es leider – wie die Analyse der veröffentlichten Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich zeigt – immer wieder, dass diese „Beschlussdeckung“ nicht vorliegt.



Wie kann das sein?



Ein Fall aus der Praxis



Der Verbandsobmann eines Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz schrieb einem Abgabepflichtigen für die in seinem Eigentum befindliche Liegenschaft eine Kanaleinmündungsabgabe mit Bescheid vor.



Gegen diesen Bescheid erhob der Abgabepflichtige Berufung weil nur drei (und nicht wie im Bescheid vier) Geschoße vorhanden wären und eine bestehende Garage nicht zu berücksichtigen sei.



Diese Berufung wurde in weiterer Folge vom Verbandsvorstand des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz in der Sitzung unter Tagesordnungspunkt 5. („Gebührenvorschreibung Berufungen“) behandelt. Im Sitzungsprotokoll ist dazu Folgendes festgehalten:



„Berufung gegen die Abgabenbescheide betreffend Wasser- und Kanaleinmündungsabgabe:

Einspruch: Die Berechnungsfläche entspricht nicht den Tatsachen; die Garage ist ein eigenes Gebäude und nicht zu berücksichtigen. Die Geschoßanzahl ist zu reduzieren

Spruch: Der Berufung wird statt gegeben

Begründung: Die Berechnung der Kanal-/Wasseranschlussgebühren ist gem. NÖ Kanalgesetz § 3 bzw. NÖ Gemeindewasserleitungsgesetz § 6 durchzuführen. (…) Die Garage ist statisch gesehen eigenständig, jedoch direkt an das Wohngebäude angebaut - es gibt eine gemeinsame Wand zwischen Wohngebäude und Garage; zusätzlich besteht eine Verbindungstür von Wohngebäude zu Garage, wodurch ein funktioneller Zusammenhang gegeben ist.

Das Obergeschoß verfügt über keine Anschlüsse, wodurch dieses aus der Berechnung herauszunehmen ist. Es dürfen nur 3 + 1 Geschoße vorgeschrieben werden anstatt 4 + 1.

Beschluss: Der Berufung wird statt gegeben.

Abstimmungsergebnis: einstimmig“



Die Bescheidausfertigung enthielt folgenden Spruch: „Gemäß § 289 Abs. 2 der Bundesabgabenordnung, BGBl. 194/1961 idF. BGBl. 20/2009 wird der Berufung wie folgt stattgegeben und der angefochtene Abgabenbescheid behoben.“



Im Rahmen der Begründung dieser Ausfertigung finden sich rechtliche Überlegungen und Ausführungen dahingehend, dass im Zuge einer Begehung festgestellt worden sei, dass


  • das Galeriegeschoß nicht an Wasser/Kanal angeschlossen sei und sich damit die Geschoßanzahl mit welcher die Berechnungsfläche zu multiplizieren ist auf 3 + 1 reduziere sowie

  • die Garage nicht als eigener Gebäudeteil im Sinne des NÖ Kanalgesetzes 1977, § 1 a anzusehen sei.




  •  



Schließlich wurde im Bescheid formuliert: „Der Berufung wird stattgegeben. Der Bescheid hinsichtlich Kanaleinmündungsabgaben wird insofern abgeändert, als dass die Berechnungsfläche des Erdgeschoßes auf 364,57 m² korrigiert wird.“

Die Entscheidung



Der gegen den ausgefertigten Berufungsbescheid des Verbandsvorstandes erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich Folge und hob diesen gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) auf (LVwG NÖ 29.07.2015, LVwG-AV-611/001-2015).



In der Würdigung wurde festgehalten, dass dem Sitzungsprotokoll (TOP 5) zu entnehmen sei, dass vom Geschäftsführer die Erläuterung des Sachverhaltes erfolgt sei. Von wem eine Antragstellung zu diesem Beschluss erfolgte sei nicht ersichtlich, wohl aber dass der Antrag „Der Berufung wird stattgegeben“ einstimmig angenommen wurde.



Daraus ergibt sich, dass Spruch und Begründung der angefochtenen Bescheidausfertigung in Wortwahl und Umfang nicht mit dem im Sitzungsprotokoll festgehaltenen Inhalt des Beschlusses übereinstimmen. Der Inhalt der Bescheidausfertigung ist durch diesen Beschluss daher nicht gedeckt.



Nach der Judikatur gilt eine Entscheidung, die einer kollegial eingerichteten Behörde zuzurechnen, nicht aber durch einen Kollegialbeschluss gedeckt ist, als von einer unzuständigen Behörde erlassen.



Liegt einem Intimationsbescheid kein seinen Inhalt voll deckender Beschluss des zuständigen Kollegialorgans zu Grunde, wird das Recht der Partei auf Entscheidung durch die zuständige Behörde verletzt.



Weicht der ausgefertigte Bescheid vom Beschluss des Verbandsvorstandes ab, dann ist dies eine der Unzuständigkeit gleichkommende Rechtswidrigkeit, welche von Amts wegen aufzugreifen ist. Die Ausfertigung eines Verbandsvorstandsbescheides muss daher zur Gänze (in Spruch und Begründung) durch einen Beschluss des Verbandsvorstandes gedeckt sein.



Im konkreten Fall lag dem angefochtenen Bescheid entsprechend dem Sitzungsprotokoll kein diesen Bescheid vollinhaltlich deckender Beschluss des Verbandsvorstandes zu Grunde. Es lag somit keine entsprechende Entscheidung der zuständigen Behörde (des Verbandsvorstandes) vor.



Der angefochtene Bescheid war mangels Deckung durch einen entsprechenden Beschluss des Verbandsvorstandes des Gemeindeverbandes für Abgabeneinhebung und Umweltschutz aufzuheben.

Tipp für die Praxis



In der Praxis bestehen zwei problematische Fallkonstellationen:


  1. der ausgefertigte Bescheid weicht vom Beschluss des Kollegialorgans ab

  2. das Kollegialorgan entscheidet (z. B. die Berufung wird abgewiesen), wobei die Begründung dem Ausfertiger des Berufungsbescheides überlassen wird.




  3.  



Weicht der Bescheid vom Beschluss ab oder war Gegenstand der Abstimmung im Gemeinderat nur der Spruch der Entscheidung und ist eine Begründung nicht einmal in den Grundsätzen der Beschlussfassung unterzogen worden, so ist der Intimationsbescheid, der eine eingehende Begründung enthält, durch den Beschluss des Kollegialorgans nicht gedeckt und verletzt den betroffenen Beschwerdeführer in seinen Rechten (vgl. Kommunalakademie NÖ (2004): Kommentar zur NÖ Gemeindeordnung 1973, S. 93 unter Hinweis auf die ständige Judikatur des VwGH).



Um eine Aufhebung des Berufungsbescheides aus diesen Gründen zu vermeiden, sollte in der Praxis eine der zwei folgenden Vorgehensweisen gewählt werden:


  1.  

    Die „Minimal-Variante“:





  2.  



Beschlussfassung unter ausdrücklicher Anführung der Entscheidung (z. B. Abweisung) mit nachvollziehbarer Dokumentation der tragenden Gründe für die Entscheidung. Nur so kann auch nach der Sitzung geprüft werden, ob eine Bescheidausfertigung – wie dies die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes fordert – zumindest in ihren wesentlichen Zügen von der Kollegialbehörde beschlossen wurde.


  1.  

    Die „sichere Variante“:





  2.  



Es wird vor der in der Sitzung des zuständigen Kollegialorgans ein Bescheidentwurf erstellt, welcher der Beschlussfassung in der Sitzung zugrunde gelegt wird. Der Bescheidentwurf kann (und sollte) vollständig ins Sitzungsprotokoll aufgenommen werden.



Durch diese Vorgehensweise wäre die Bescheidausfertigung jedenfalls komplett vom Beschluss des Kollegialorganes erfasst und somit gedeckt. Eine Bescheidaufhebung mangels Beschlussdeckung könnte dadurch ausgeschlossen werden.