Baum ist auf ein Auto gefallen
Entsteht ein Schaden durch einen umfallenden Baum oder durch Teile, die von diesem abfallen, muss sich der Baumhalter freibeweisen. Es gilt also so lange die Schuldvermutung, bis die Erfüllung des von der Rechtsprechung festgesetzten Sorgfaltsmaßstabs nachgewiesen werden kann.
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Sorgfaltspflichten können Lebensrisiko nicht verhindern

Mit der Eigenverantwortung ist es in Österreich nicht weit her. Damit hat der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich, sich zwar auf das Verhalten der Österreicherinnen und Österreicher in der Pandemie bezogen, aber ein ganz grundsätzliches gesellschaftliches Problem unverblümt angesprochen.

Bis vor Kurzem war das Wort „Eigenverantwortung“ der österreichischen Rechtsordnung noch fremd, erst durch die Änderung der Tierhalterhaftung §1320 ABGB im Jahr 2019, ausgelöst durch das viel beachtete Urteil nach einer Kuhattacke, fand der Begriff erstmalig Einzug in das Haftungsrecht. 

Der Gedanke, ein allgemeines Lebensrisiko zu tragen und für manche Handlungen selbst die Verantwortung zu übernehmen, ist ein äußerst unangenehmer. Da die Rechtsordnung die Eigenverantwortung noch nicht wirklich kennt und auch das allgemeine Lebensrisiko ein schwer verdauliches Konzept darstellt, muss in jedem Schadensfall schon fast gezwungenermaßen nach einem Verantwortlichen gesucht werden.

Wenn ein Baum umfällt, gilt zunächst die Schuldvermutung

Anders lässt sich die extensive Anwendung und Ausdehnung der Werkhalterhaftung nach §1319 ABGB, die bis zu einer analogen Anwendung auf Bäume reicht, kaum erklären – denn die dogmatische Begründung dafür ist mehr als dürftig. Erst durch die analoge Anwendung der äußerst strengen Werkhalterhaftung kommt es zur Umkehr der Beweispflicht.

Entsteht ein Schaden durch einen umfallenden Baum oder durch Teile, die von diesem abfallen, muss sich der Baumhalter freibeweisen. Es gilt also so lange die Schuldvermutung, bis die Erfüllung des von der Rechtsprechung festgesetzten Sorgfaltsmaßstabs nachgewiesen werden kann. Es reicht die Möglichkeit, dass eine Maßnahme theoretisch den Unfall verhindern hätte können.

Eine zugegeben schwierige Aufgabe. Woran lässt sich die notwendige Sorgfalt möglichst nachvollziehbar festmachen? Hier kommen die zahllosen Normen und Standards, die von den verschiedenen internationalen und nationalen Normungsinstituten ausgegeben werden, sehr gelegen.

Wie jeder Standard ist auch die Anwendung einer ÖNORM freiwillig. Viele Normen entstehen entweder durch die Anregung eines interessierten Kreises, in der Regel sind das Unternehmer, die für ihren Bereich aus welchen Gründen auch immer gewisse Mindeststandards etablieren wollen. Eine ÖNORM kann auch durch die Übernahme einer europäischen beziehungsweise internationalen Norm auf nationaler Ebene entstehen.

„Goldstandard“ in der Baumpflege kann nicht Haftung regeln

Nehmen wir als Beispiel die ÖNORM L 1122 heran. Dabei handelt es sich um ein „freiwillig“ anzuwendendes Regulatorium zur Baumpflege. Eine Gruppe Spezialisten hat sich also zusammengefunden und festgeschrieben, wie sich der Idealzustand für die Baumpflege bestmöglich abbilden lässt. Das ist gut und richtig, ermöglicht es doch denen, die in dem betreffenden Fachgebiet tätig sind, ihre Arbeit und Vorgehensweise untereinander zu vergleichen und einheitliche Qualitätsstandards zu etablieren. Auch für interessierte Auftraggeber bieten diese Normen einen Mehrwert, ermöglichen sie doch einen raschen Überblick über den am Markt aktuell erwartbaren Qualitätsstandard. Das kann Bestellungen und Ausschreibungen deutlich vereinfachen.

Diese Normen entstehen jedoch nicht im Gedanken, einen für alle Menschen gültigen Haftungsmaßstab zu etablieren. Wenn sich Baumpfleger auf einen „Goldstandard“ in der Baumpflege einigen, haben sie dabei nicht im Sinn, den Maßstab für die Haftung aller Österreicherinnen und Österreicher, die im Besitz von Bäumen sind, zu regeln.

Eigenverantwortung spielt im Haftungsrecht eine untergeordnete Rolle

Halten wir fest: Eigenverantwortung und das allgemeine Lebensrisiko spielen im Haftungsrecht des ABGB eine äußerst untergeordnete Rolle. Die Rechtsprechung zieht die ÖNORMen, die den Industrie-Goldstandard abbilden und auf die auch Gebietskörperschaften nur gegen Bezahlung zugreifen können, als in der Bevölkerung gängigen Sorgfaltsmaßstab heran. Dazu kommt im Fall der Baumhaftung auch noch die Beweislastumkehr. 

Gemeindeverantwortliche müssen also im Haftungsfall nachweisen, Sorgfaltsmaßstäbe eingehalten zu haben, die sie nur kennen können, wenn sie für die ÖNORM L1122 bezahlen. Die Verkehrssicherungspflichten sind für sich schon eine massive Belastung für die Gemeinden, die Baumhalterhaftung nimmt aktuell jedoch eine Sonderstellung ein. Denn im Gegenzug zu Bauwerken ziehen die Baumhalter keinen wirtschaftlichen oder sonstig gearteten Nutzen. Bäume sind natürlich gewachsene Strukturen, die einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert bieten, sei es die gesteigerte Lebensqualität oder der positive Effekt auf die CO2-Bilanz.

Da sich an der Vollkaskomentalität einiger Menschen und dem Mangel an Bewusstsein für Eigenverantwortung oder dem allgemeinen Lebensrisiko in absehbarer Zeit kaum etwas ändern wird, ist hier der Gesetzgeber gefordert.

Eine legistische Lösung liegt nahe und kann ohne großen Aufwand umgesetzt werden – die Politik kennt die Problematik und auch an qualifizierten Lösungsvorschlägen mangelt es nicht. Bis es zu einer Gesetzesänderung kommt, lässt sich für die in den Gemeinden Verantwortlichen leider kaum eine Haftung ausschließen – unabhängig davon, ob sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen oder nicht. 

3 Punkte machen das Problem so kompliziert:

  1. Eigenverantwortung und das allgemeine Lebensrisiko spielen im Haftungsrecht des ABGB eine äußerst untergeordnete Rolle.
  2. Die Rechtsprechung zieht die ÖNORMen, die den Industrie-Goldstandard abbilden und auf die auch Gebietskörperschaften nur gegen Bezahlung zugreifen können, als in der Bevölkerung gängigen Sorgfaltsmaßstab heran.
  3. Dazu kommt im Fall der Baumhaftung auch noch die Beweislastumkehr.