Die Wanderungsbewegungen fließen aus dem stärker industriell geprägten ländlichen Raum in die Städte, wo Beschäftigung im Dienstleistungssektor eine deutlich größere Rolle spielt.
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Ländlicher Raum

Wie die Abnahme der Industriebeschäftigung zur Landflucht beiträgt

Angetrieben durch Globalisierung und Technologischen Wandel erfährt der österreichische Arbeitsmarkt einen spürbaren Strukturwandel. Dieser betrifft den ländlichen Raum in besonderem Ausmaß, da der im Abstieg befindliche Industriesektor dort von besonders großer Bedeutung ist, während die Städte stärker durch den Dienstleistungssektor geprägt sind. Dies trägt dazu bei, dass vor allem junge Menschen im ländlichen Raum heute schlechtere (Arbeitsmarkt-) Perspektiven vorfinden, als es noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Da vor allem diese Menschen vermehrt durch Binnenmigration in die Städte reagieren, leistet der voranschreitende Strukturwandel so einen relevanten Beitrag zum Abstieg vieler ländlicher Regionen.

Der Strukturwandel der österreichischen Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten auch zu großen Verwerfungen am Arbeitsmarkt geführt. Dieser Umstand äußert sich vor allem in einem stetig absinkenden Anteil der herstellenden Industrie an der Gesamtbeschäftigung.

Während die Beschäftigungsquote seit den 1970er Jahren stetig zugenommen hat, ist der Anteil der in der Industrie beschäftigten Arbeitskräfte deutlich gesunken. Waren im Jahr 1975 noch knapp über 26 % der unselbständigen Beschäftigte in der herstellenden Industrie tätig, waren es 2019 nur noch knapp unter 19 %.

Anteil der herstellenden Industrie an der Gesamtbeschäftigung
Quelle: Austrian Social Security Database (ASSD), Hauptverband der Sozialversicherungsträger (eigene Berechnung)

Ein Teil dieser Entwicklung lässt sich auf das Abwandern vieler Firmenstandorte in Niedriglohnländer (das sogenannte „Offshoring“) zurückzuführen, allerdings spielt auch die immer stärker werdende Verbreitung von Automatisierungstechnologien eine wichtige Rolle. Eine Technologie-Gattung, der hier besonders große Bedeutung zukommt, sind Industrieroboter. Diese spezielle Art Roboter ist dafür konstruiert, repetitive manuelle Tätigkeiten deutlich schneller und effizienter durchzuführen als es menschliche Arbeiter:innen tun könnten. Dementsprechend geht ihre vermehrte Verfügbarkeit mit einer steigenden Substituierbarkeit von manuellen Routinetätigkeiten – klassischen Fließbandjobs – einher.

Wie wir aus der internationalen Forschung wissen, finden sich solche manuellen Routinetätigkeiten vornehmlich in der herstellenden Industrie, und werden mehrheitlich von Arbeiter:innen mit mittlerem Qualifikationsniveau ausgeführt. Die Berufe die typischer Weise von Industrierobotern verdrängt werden können, sind also vor allem technische Lehrberufe, die in der industriellen Produktion von besonderer Bedeutung sind.

Roboter pro 1000 Arbeitnehmer
Quelle: International Federation Of Robotics (IFR) und OECD (eigene Berechnung). Roboter-Daten sind nur zwischen 1993 und 2016 verfügbar.

Dieser Anstieg in der Verbreitung von Automatisierungstechnologien nährt Ängste vor dramatischen Verwerfungen am Arbeitsmarkt.

Während die häufig geäußerten Sorgen um technologische Massenarbeitslosigkeit mit größter Wahrscheinlichkeit stark übertrieben sind, ist es mittlerweile Konsens in der ökonomischen Forschung, dass Automatisierung mit Beschäftigungsrückgängen im industriellen Sektor einhergeht.

Eine Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS), im Zuge derer die Arbeitsmarkteffekte von Industrierobotern untersucht wurden, zeigt, dass die zunehmende Verbreitung dieser Technologien auch in Österreich zu einem Rückgang in der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe führt. Die zunehmende Verbreitung von Automatisierungstechnologien leistet also einen nachweislichen Beitrag zum beobachteten Rückgang der Industriebeschäftigung.

Anders als vielfach vermutet, operiert dieser Effekt jedoch nicht durch einem Anstieg von Kündigungen und reduzierter Jobsicherheit bereits in Beschäftigung befindlicher Arbeitnehmer:innen. Der negative Effekt, den Industrieroboter auf die Industriebeschäftigung haben, erklärt sich vollständig aus einer deutlichen Reduktion neuer Beschäftigungsverhältnisse. Firmen reagieren auf die vermehrte Verfügbarkeit von Industrierobotern also primär dadurch, dass sie keine neuen Arbeitnehmer:innen einstellen – eine Entwicklung von der vor allem junge Menschen am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn betroffen sind. Dieses Muster ist keine österreichische Besonderheit, sondern wurde auch in anderen Ländern (z. B. in Deutschland) beobachtet.

Regionale Unterschiede

Die negativen Effekte der Automatisierung betreffen also unterschiedliche Altersgruppen in unterschiedlicher Intensität. Es gibt aber auch große Unterschiede nach geographischen Regionen.

So zeigen die Auswertungen in der obengenannten IHS-Studie deutlich, dass Beschäftigung in der Industrie in ländlichen Regionen eine wesentlich größere Rolle spielt, während Städte und Ballungszentren stärker durch den Dienstleistungssektor geprägt sind.

So entfielen etwa im Jahr 1990 knapp ein Drittel aller Arbeitsplätze im ländlichen Raum auf die industrielle Produktion, während dieser Anteil sich in den urbanen Zentren nur auf knapp 23 % belaufen hat. Bis zum Jahr 2019 hat sich dieses Muster sogar noch weiter verfestigt.

Im ländlichen Raum ist nach wie vor etwa ein Drittel aller unselbständigen Beschäftigungsverhältnisse im industriellen Sektor zu finden, in urbanen Regionen beläuft sich derselbe Anteil nur mehr auf knapp 16 %.[1]

Zusammengenommen zeigen diese Zahlen, dass es vor allem junge Menschen aus dem ländlichen Raum in den Frühphasen ihrer Erwerbsbiografie sind, die im besonderen Maße von den Beschäftigungseffekten der Automatisierung betroffen sind. Während diese jungen Menschen typischerweise nicht durch Automatisierung ihre bestehenden Jobs verlieren, so sind sie doch in ihrer Fähigkeit neue, stabile Beschäftigung im herstellenden Gewerbe zu finden zunehmend eingeschränkt.

Der Strukturwandel führt zu Abwanderung

Diese Erosion in den Arbeitsmarktchancen junger Menschen im ländlichen Raum tritt zeitgleich mit zunehmender Abwanderung in die Städte auf. Dieses breit dokumentierte Phänomen der Landflucht stellt viele ländliche Regionen, vor allem jene in größerer Distanz zu urbanen Zentren, vor große Herausforderungen.

Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass ländliche Regionen, die von starker Abwanderung gekennzeichnet sind, mit einem starken Rückgang der Wirtschaftskraft, dem Verschwinden vieler privater, aber auch öffentlicher Dienstleistungen, sowie einer zunehmenden Überalterung zu kämpfen haben.

Nicht zuletzt mehren sich auch die Hinweise, dass diese zunehmende Kluft zwischen im Abstieg befindlichen ländlichen Regionen und prosperierenden Städten und ihrem Umland einen relevanten Beitrag zur gesellschaftlichen und politischen Polarisierung der letzten Jahre geleistet haben.

Wirft man einen Blick auf die räumliche Verteilung von Wanderungsbewegungen, so fällt auf, dass es auch zwischen ländlichen Regionen große Unterschiede in den Wanderungssaldos gibt. Während kleinere Gemeinden in der Nähe großer urbaner Zentren generell ebenfalls durch Binnen-Zuwanderung wachsen, sind es vor allem abgelegenere ländliche Gemeinden, die durch markante Abwanderung gekennzeichnet sind.

Abwanderungsraten
Quelle: Wanderungsstatistik von Statistik Austria (2001-2016); eigene Berechnung. Große urbane Zentren (nach offizieller Statistik Austria Klassifikation) sind namentlich hervorgehoben.

Betrachtet man die Daten zur österreichischen Binnenmigration etwas genauer, so wird deutlich, dass diese Wanderungsmuster primär durch junge Menschen getrieben sind. Wie oben bereits ausgeführt, ist es also besonders jene demographische Gruppe, die besonders von der reduzierten Arbeitsnachfrage im industriellen Sektor betroffen ist, die auch die Abwanderung aus vielen ländlichen Regionen prägt.

Während sich von der bloßen Gleichzeitigkeit dieser beiden Trends noch nicht auf einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Strukturwandel am österreichischen Arbeitsmarkt und der zunehmenden Landflucht schließen lässt, zeigt die oben genannte IHS-Studie deutlich, dass hier ein ebensolcher Zusammenhang besteht:

Ländliche Gemeinden, deren regionale Arbeitsmärkte stärker von absteigender Industriebeschäftigung und steigender Robotisierung gekennzeichnet sind, zeigen deutlich stärkere Abwanderungstendenzen. Diese sind zum überwiegenden Großteil von denselben gesellschaftlichen Gruppen getrieben, die die größte Last des Technologieschocks tragen.

Der Strukturwandel am österreichischen Arbeitsmarkt – weg von Industriebeschäftigung und hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft – führt also auch zu Wanderungsbewegungen. Diese Wanderungsbewegungen fließen aus dem stärker industriell geprägten ländlichen Raum in die Städte, wo Beschäftigung im Dienstleistungssektor eine deutlich größere Rolle spielt.

Um dem fortschreitenden Phänomen der Landflucht, und den Problemen, die damit einhergehen, sinnvoll begegnen zu können, wird es von zentraler Bedeutung sein, jungen Menschen wieder bessere Perspektiven am Land zu bieten. Während sich das sicherlich nicht auf ausschließlich berufliche Aspekte beschränkt, so zeigt die empirische Evidenz doch, dass den Bedingungen und Perspektiven in den regionalen Arbeitsmärkten hier eine zentrale Rolle zukommt. Das Beschäftigungspotenzial durch die Energiewende, aber auch die Telearbeit im Dienstleistungssektor, könnten diesem Trend entgegenwirken.

[1] Diese Berechnungen wurden auf Basis der österreichischen Sozialversicherungsdaten (vorhanden in der Austrian Social Security Database – ASSD) durchgeführt. Urbane und ländliche Regionen wurden auf Basis der offiziellen Stadt-Land Klassifikation von Statistik Austria definiert.