Die f(r)u(r)chtbare Zeit vor den Wahlen

Ein intensiver Nationalratswahlkampf liegt hinter uns. Ein Wahlkampf ist immer eine Zeit intensiver Auseinander- setzung in den Medien. Ob 50 Fernsehkonfrontationen der Spitzenkandidaten nicht zu viel sind, bleibt der Beurteilung jedes Einzelnen überlassen. Eine besondere Stellung kam diesmal den sozialen Medien zu, die immer mehr an Bedeutung gewinnen. Ob die Entwicklung positiv oder negativ war, soll nicht bewertet werden. Viel bemerkens- werter sind die parlamentarischen Aktivitäten kurz vor der Nationalratswahl.

Auch nach dem Beschluss über die Auflösung des Nationalrats und der Ausschreibung von Neuwahlen fanden Nationalratssitzungen statt. Allerdings fühlten sich die Parteien nicht mehr an Koalitionsvereinbarungen gebunden und nach dem Motto „des freien Spiels der Kräfte“ wurden noch schnell Mehrheiten für Gesetzesvorhaben gesucht.



Ähnliches hat es bereits 2008 vor der damaligen Nationalratswahl gegeben. Die damals beschlossenen Maßnahmen haben den Steuerzahler mehrere Milliarden pro Jahr gekostet. Zwar sollte es diesmal anders sein, gelungen ist das Vorhaben jedoch nicht.



Vier bis fünf Jahre war Zeit, sich inhaltlich mit Themen auseinanderzusetzen und neue Gesetze zu verabschieden. Es war genügend Zeit vorhanden, unterschiedliche Bereiche sachlich aufzuarbeiten, verschiedene Standpunkte im Parlament zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Umso verwunderlicher war es daher, wenn in Fernsehkonfrontationen plötzlich ein Thema aufgeworfen wurde, in der Diskussion grundsätzliche Einigkeit darüber bestand und dieses gleich am nächsten Tag im Nationalrat umgesetzt werden sollte. Es sei dann schon die Frage erlaubt, wozu wir das Parlament noch brauchen. Bloß um abzusegnen, was am Vorabend im TV vereinbart wurde, erscheint mir zu wenig.

Pflegeregress – Mehr Fragen als Antworten



Am Beispiel der Abschaffung des Pflegeregresses soll dies verdeutlicht werden. Zwar schon seit Längerem diskutiert, ging am Ende alles sehr schnell. Nur wenige Stunden nach der politischen Einigung wurde die Abschaffung des Pflegeregresses vom Nationalrat mit breiter Mehrheit beschlossen. Mit Anfang des kommenden Jahres ist es den Ländern untersagt, auf das Vermögen von Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, zurückzugreifen. Gleiches gilt für das Vermögen von Angehörigen und Erben. Im Gegenzug erhalten die Länder jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich über den Pflegefonds.

Wegen des Eingriffes in die Länderkompetenz wurde das gleich mit einer Verfassungsbestimmung abgesichert, so die Parlamentskorrespondenz.



Erst nach und nach wurde in Besprechungen klar, dass dieses ohne Begutachtung beschlossene Gesetz mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Zwar hat man festgelegt, dass das Gesetz ab 1. 1. 2018 gilt. De facto kommt dem Gesetz jedoch eine rückwirkende Wirkung zu, zumal auch anhängige Verfahren ab dem 1. 1. 2018 nicht mehr weiter geführt werden können. Auch Exekutionsverfahren, die nicht bis zum 1. 1. 2018 abgeschlossen sind, müssen daher eingestellt werden. Nicht von ungefähr haben bereits viele Notare die Löschung der grundbücherlichen Sicherstellung verlangt, da sie wissen, dass derartige Verfahren bis Jahresende nicht mehr rechtskräftig abgeschlossen werden können.



Unklar ist auch, was unter stationären Pflegeeinrichtungen zu verstehen ist. Fallen auch Einrichtungen wie betreutes Wohnen mit nächtlicher Rufbereitschaft darunter? Was passiert mit Behinderten, die in Behinderteneinrichtungen betreut werden? Auch hier ist eine Regressmoglichkeit vorgesehen. Wer wird in Zukunft noch als sogenannter Selbstzahler auftreten, wenn er weiß, dass auf sein Vermögen nicht mehr zurückgegriffen werden kann? Und völlig übersehen wurde, dass durch den Wegfall des Regresses für viele Angehörige der Anreiz wegfallt, ihre Angehörigen zu Hause zu betreuen.



Ein verstärkter Andrang in Pflegeeinrichtungen ist jetzt schon zu bemerken. Dies erfordert eine Menge an Investitionen und erhöht die laufenden Kosten, die natürlich nicht durch die 100 Millionen Euro mehr abgedeckt werden können.

Finanzielle Folgen bleiben an den Ländern und Gemeinden hängen



Zu Recht fordern daher Länder und Gemeinden, dass ihnen die vollen Kosten dieser Maßnahme ersetzt werden. Vor kurzem hat man im Finanzausgleich einen Kostendämpfungspfad vereinbart, der durch diese Regelung ad absurdum geführt wird. Ein Schnellschuss des Parlaments mit ungeahnten Folgen. Die finanziellen Folgen haben aber diesmal die Länder und Gemeinden zu tragen. Gemeinden sind entweder selbst Träger derartiger Einrichtungen oder aber müssen über Umlagen bis zu 50 Prozent der Kosten tragen. Das hat enorme Sprengkraft für die Budgets der Gemeinden.

Keine Gesetzesbeschlüsse mit finanziellen Auswirkungen nach Neuwahlbeschluss



Auch weitere Gesetze wurden noch vor dem Wahlgang schnell beschlossen. Mit den Auswirkungen wird die zukünftige Regierung noch lange zu kämpfen haben. Um derartige Schnellschüsse in Zukunft zu vermeiden, sollte in der kommenden Legislaturperiode eine gesetzliche Regelung gefunden werden, die es – mit Ausnahme von Gefahr im Verzug – verhindert, dass nach einem Beschluss über die Auflösung des Nationalrats und der Ausschreibung von Nationalratswahlen Gesetzesbeschlüsse mit finanziellen Auswirkungen gefasst werden.