Kern bei Interviews vor Mikrofonen

Christian Kern zu kommunalpolitischen Fragen

28. September 2017
„Für mich bedeutet „Gemeinde“, so wie für viele andere Menschen, aber in erster Linie Heimat.“

Kürzlich wurde der Masterplan Ländlicher Raum präsentiert. Kann dieser Plan den ländlichen Raum retten oder zumindest Verbesserungen auf den Weg bringen?



Im Plan A schlage ich ganz konkrete Maßnahmen vor, um die ländlichen Regionen aufzuwerten bzw. zukunftsfit zu machen. Der wirtschaftliche Aufschwung muss in den ländlichen Regionen ankommen, er muss Lebensqualität und wirtschaftliche Möglichkeiten bieten. Dazu braucht es vor allem öffentliche und private Investitionen in die regionale Infrastruktur, denn diese stärken nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, sondern haben insbesondere für die KMU in den Regionen eine hohe Bedeutung und schaffen letztlich Arbeitsplätze. Ziel ist, eine Milliarde Euro in den „Wirtschaftsstandort ländlicher Raum“ zu investieren.



Österreichweit muss es außerdem ein einheitliches Angebot von öffentlichem Verkehr im ländlichen Raum geben. Dazu braucht es zusätzlichen Bus- und Schienenverkehr, weiteren Streckenausbau sowie mehr Park&Ride-Anlagen. Wesentlich für die Stärkung und Chancenentwicklung der ländlichen Gebiete ist auch der zügige weitere Ausbau der Kinderbetreuung sowie die Umsetzung des zweiten Gratis-Kindergartenjahres.



Weiters setzen wir uns dafür ein, dass es spätestens ab 2020 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Geburtstag geben wird. Auch die Errichtung von Ganztagsschulen ist ein ganz zentraler Punkt. Mehr PolizistInnen müssen im Rahmen einer Sicherheits-Offensive im ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Der angesprochene Masterplan des Landwirtschaftsministers bleibt in vielem zu vage und unkonkret.



In vielen Gemeinden wird es immer schwieriger, geeignete Menschen zur Kandidatur für das Bürgermeisteramt zu gewinnen. Welche Ansätze haben Sie, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken?



Vor allem die Frage von Haftungsrisiken in der Sphäre von Gemeindeorganen, ist sehr problematisch. Werden die Vorschriften verletzt, so drohen den BürgermeisterInnen unterschiedlichste Haftungen in strafrechtlichen, zivilrechtlichen, aber auch verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Bereichen.



Auch die mangelnde sozialrechtliche Absicherung, das schlechte Image der PolitikerInnen in der Öffentlichkeit und die sehr spezifischen Ausbildungserfordernisse in vielen Bereichen, halten viele Menschen von dieser Tätigkeit ab.



Um das Amt wieder attraktiver zu gestalten, muss eine ganze Reihe von Maßnahmen umgesetzt werden. Eine Deregulierung der Verwaltung, die Möglichkeit nach der Tätigkeit als BürgermeisterIn wieder in den alten Job zurückkehren zu können oder gezielte Aus- und Fortbildungsprogramme sind nur drei von vielen Punkten, wo man ansetzen könnte. Der niedrige Anteil von Bürgermeisterinnen ist ein zusätzliches Problem, bei dem wir ansetzen müssen. Hierfür ist speziell der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen notwendig, um dafür überhaupt die Rahmenbedingungen (Vereinbarkeit Familie und Beruf) zu schaffen.



Zuletzt haben die Gemeinden sehr vehement eine Staatsreform gefordert, um den Kompetenz-Wirrwarr zu beenden. Wie könnte oder sollte aus Ihrer Sicht eine solche Reform aussehen?



Aus unserer Sicht ist die Verwaltung entscheidend – nach dem Prinzip ein Bereich, eine Zuständigkeit – zu vereinfachen. Die Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden müssen klar definiert und entflochten werden. Durchsetzen werden wir das über einen breiten Diskussionsprozess nach Schweizer Vorbild, an dessen Ende eine verbindliche Volksabstimmung stehen soll.



Warum ist Europa für Österreichs Gemeinden wichtig? Oder auch nicht?



Alle größeren Ballungsräume in Österreich liegen in der Nähe der Staatsgrenzen. Und auch außerhalb der Ballungsräume leben überdurchschnittlich viele Menschen nahe der Grenzen. Grenzüberschreitende Beziehungen sind daher für die regionale Entwicklung von besonderer Bedeutung. Hier spielen vor allem die europäischen Regionen eine zentrale Rolle.



Eine gute Maßnahme der EU ist auch die Investitionsoffensive #investEU. Hier steht der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur im Mittelpunkt. Zu diesem Zweck unterstützt die EU-Kommission innovative Projekte in österreichischen Gemeinden aus den Bereichen Energie, Verkehr, digitale Technologie, Landwirtschaft, Umwelt und Ressourceneffizienz im Rahmen von Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor.



Was bedeutet für Sie „Gemeinde“ ganz persönlich?



Die Gemeinde ist als kleinste Verwaltungseinheit die erste und persönlichste Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger. Für mich bedeutet „Gemeinde“, so wie für viele andere Menschen, aber in erster Linie Heimat.



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