Der Gemeindebund erwartet, dass der Zustrom in Pflegeheime zunehmen wird. Foto: Shutterstock/napocska

Der Pflegeregress ist Geschichte

Die Abschaffung der Regressmöglichkeit für Pflegepatienten und ihre Angehörigen stellt die Pflegefinanzierung vor neue Herausforderungen. Länder und Gemeinden sind vom Wegfall dieser Möglichkeit stark betroffen. Und die Kosten steigen in den kommenden Jahren massiv.





Die Gemeinden wiederum sind in fast allen Bundesländern an der Kofinanzierung der Pflege beteiligt. Dies geschieht über das Umlagesystem aus den Sozialbudgets, teils auch über Sozialverbände. „Wir hatten in diesem Bereich ja schon in den letzten Jahren sehr merkbare Steigerungen“, weiß Gemeindebund-Chef Alfred Riedl. „Die Sozialbudgets der Kommunen beinhalten die Finanzierung der Pflege, aber auch die Kosten für die Mindestsicherung. In beiden Bereichen steigen die Kosten, zum Teil im zweistelligen Prozentbereich pro Jahr.“



Erst vor einigen Tagen hat der Fiskalrat eine umfangreiche Studie vorgelegt, in der verschiedene Szenarien berechnet werden. Ohne Gegenmaßnahmen, so der Fiskalrat, liegen die Pflegekosten im Jahr 2021 um 685 Mio. Euro höher als bislang budgetiert wurde. Das würde auch den sogenannten „Kostendämpfungspfad“, zu dem Länder und Gemeinden im Finanzausgleich verpflichtet wurden, deutlich überfordern. Dieser Pfad erlaubt Steigerungen der Bruttoausgaben für Pflege in diesem Zeitraum von 3,6 Mrd. auf 4,5 Mrd. Euro. Mit den prognostizierten Steigerungen steigen diese Kosten aber auf 5,2 Mrd. Euro.

Derzeitiger Pflegefonds läuft 2021 aus



Der Beitrag des Bundes beträgt etwas mehr als die Hälfte der öffentlichen Mittel für das Pflegewesen (im Bereich der Altersleistungen). Im Jahr 2021 liegt der Finanzierungsanteil der Länder und Gemeinden bei zumindest 52 Prozent (Bund: 48%). Dabei steigt die Dotierung der Pflegefondsmittel – ausgehend von 350 Mio. Euro (Bundesanteil 2/3; Anteil der Länder und Gemeinden 1/3) in den Jahren 2016 und 2017 – bei einer jährlichen Valorisierung um 4,5% schrittweise auf 417 Mio. Euro bis zum Jahr 2021 an. Der Pflegefonds läuft in der derzeitigen Form jedoch Ende 2021 aus, sodass eine nachhaltige Finanzierungslösung nach 2021 erforderlich ist.

Zustrom in Pflegeheime wird zunehmen



Der steigende Bedarf an Pflegeleistungen ergibt sich hauptsächlich aus der demographischen Entwicklung der Bevölkerung. Derzeit sind rund fünf Prozent der Menschen älter als 80 Jahr, im Jahr 2060 steigt dieser Anteil auf elf Prozent. Damit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass deutlich mehr Menschen pflegebedürftig werden. Dazu kommt, so schreibt der Fiskalrat, dass aktuell ein sehr großer Teil der Patienten daheim von Angehörigen, mit Hilfe mobiler Pflegedienste oder durch Hauspflegekräfte betreut werden. „Mit dem Wegfall der Regressmöglichkeit wird der Zustrom in die Pflegeheime spürbar zunehmen“, sagt Riedl. Der Fiskalrat belegt diese Befürchtung in seiner Studie.



Der Trend zur formellen Pflege werde unter anderem auch aufgrund der steigenden Frauenerwerbsquote und der Zunahme von Einpersonenhaushalten steigen. Professionelle häusliche Pflege und institutionelle Pflege- und Betreuungsleistungen würden an Bedeutung gewinnen. Je nach berechnetem Szenario verdoppeln sich bis 2060 die Kosten in Prozent des BIP auf bis zu 3,59 Prozent der Wirtschaftsleistung.



Auch der Ökonom Gottfried Haber meldete sich in dieser Debatte zu Wort. Es werde eine steigende Nachfrage nach Heimplätzen geben. „Viel wesentlicher aber ist, dass wir immer länger leben, aber nicht notwendigerweise immer gesünder werden. Es wird langfristig einen enormen Mehrbedarf an Pflege geben“, so Haber in einem ORF-Interview.

Wegfallende Mittel müssen ersetzt werden



„Die Zahlen sprechen also eine eindeutige Sprache“, sagt Riedl. „Wir halten uns aus der politischen Debatte diesbezüglich als Gemeindevertreter heraus. Wenn der Bund den Ländern künftig den Regress verbietet, dann ist das sein gutes Recht als Gesetzgeber. Es ist dann aber auch seine Verpflichtung, dass die dadurch wegfallenden Mittel den Ländern und Gemeinden ersetzt werden“, so Riedl. Alles andere wäre unverantwortlich. „Ich habe am Gemeindetag sehr genau zugehört, als Sebastian Kurz in diesem Zusammenhang versprochen hat: ‚Wer anschafft, der zahlt auch‘.“



Die Probleme, erklärt Riedl, liegen ja nicht allein im Entfall der Mittel, die man durch fehlende Regressmöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung habe. „Der Entfall wird den Zustrom in die Pflegeheime ganz erheblich erhöhen, wenn nicht mehr aufs Vermögen zugegriffen werden kann. Das bedeutet, dass wir mehr Betreuungsplätze, mehr Infrastruktur, mehr Pflegepersonal brauchen.“

In Vorarlberg muss man neu planen



Vor wenigen Tagen hat die Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) die Kosten für ihr Bundesland hochgerechnet. Die Abschaffung des Regresses bringe ihr Bundesland in eine völlig neue Situation. Man habe eigentlich keinerlei Ausbaupläne bis 2025 gehabt. Nun müsse man neu planen. Der Regressentfall koste das Ländle 8,5 Mio. Euro. Der nun notwendige Neubau von Kapazitäten rund 20 Mio. Euro, die zusätzlichen Betriebskosten weitere neun Mio. Euro. Macht alleine für Vorarlberg rund 37 Mio. Euro an Mehrkosten. Im Worst Case bedeutet dies sogar bis zu 60 Mio. Euro nur für Vorarlberg.



„Ich persönlich wäre ja der Meinung, dass wir die häusliche Pflege, die mobilen Dienste und den Alltag pflegender Angehöriger erleichtern sollten“, sagt Riedl. „Ich hoffe, dass dieser Zugang nicht unter die Räder kommt, denn die meisten Menschen wollen – auch wenn sie Pflege brauchen – lieber daheim sein in ihrem vertrauten Umfeld. Die Betreuung in diesem Umfeld müssen wir stärken, nicht nur den Regress abschaffen.“



Der Gemeindebund werde aber, so  Riedl, die Bundesregierung an ihre Zusagen weiterhin erinnern. „Das Prinzip ‚Wer anschafft, zahlt‘ muss in diesem Fall, aber auch in allen anderen Vorhaben auch in Zukunft Gültigkeit haben.“