Außenminister Sebastian Kurz, die Salzburger Landtagspräsidentin Brigitta Pallauf, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl und Salzburgs Gemeindeverbands-Chef Günther Mitterer.

"Österreich braucht eine Staatsreform"

3. Juli 2017
Wohl nicht zuletzt aufgrund der bevorstehenden Nationalratswahl konnte Alfred Riedl auf seinem ersten Gemeindetag als Präsident des Österreichischen Gemeindetages eine bisher nie gesehene Menge an Mitgliedern der Bundesregierung begrüßen. Zur Eröffnung kam Bundeskanzler Christian Kern, bei der Fachtagung sprachen Bildungsminister Sonja Hammerschmid und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter und Innenminister Wolfgang Sobotka verlieh den Österreichischen Gemeindepreis. Bei der Festveranstaltung hielt Außenminister Sebastian Kurz das Hauptreferat und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil besuchte die Kommunalmesse.

Vor mehr als 2.300 Gemeindevertreter/innen richtete Alfred Riedl eindringliche Forderungen an eine künftige neue Bundesregierung: „Zum einen sind wir natürlich besorgt darüber, dass kurz vor der Wahl allerlei Beschlüsse und Vorhaben auf den Weg gebracht werden, die viel Geld kosten und die öffentlichen Haushalte – darunter auch die Gemeinden – stark belasten werden“, so Riedl. „Zum anderen haben wir in den Kommunen Reformvorschläge, von denen wir erwarten, dass die nächste Bundesregierung sich darum kümmert



Die letzten Tage“, so Riedl, „erinnern mich an die Nacht des großen Füllhorns im Jahr 2008, als im Spiel der freien Kräfte im Parlament Dinge beschlossen wurden, die mehr als vier Milliarden Euro gekostet haben.“ Der Gemeindebund werde sehr genau darauf achten, dass es in den nächsten Monaten nicht zu Mehrbelastungen für die Gemeinden komme. „Wir haben im Finanzausgleich einiges erreicht, unter anderem einen Struktursfonds für schwache Gemeinden. Wir können uns das nun nicht kaputt machen lassen dadurch, dass auf Bundesebene hemmungslos Geld ausgegeben wird, das Länder und Gemeinden aufzubringen haben

Kritik an Bürokratie



Scharfe Kritik übte der neue Gemeindebund-Chef an der überbordenden Bürokratie. „Wir sind tagtäglich mit neuen Vorschriften und Gesetzen konfrontiert“, so Riedl. „Unser Aufwand zur Bewältigung von komplexen bürokratischen Vorschriften steigt jeden Tag. Wir müssen Aufgaben- und Ausgabenverantwortung wieder in eine Hand bringen.“ Die Schulverwaltung sei dafür ein gutes bzw. schlechtes Beispiel. „Anstatt die Bürokratie zurückzudrängen und damit die Ursache zu bekämpfen sollen wir Gemeinden nun den Schulen zusätzliches Verwaltungspersonal zur Verfügung stellen, damit die Symptome bekämpft werden können.“

„Den gordischen Knoten zerschlagen“



Österreich brauche, so Riedl, dringend eine Staatsreform, um den gordischen Knoten an Zuständigkeiten zu zerschlagen. „Es ist schade, dass im Österreich-Konvent, wo es über viele wichtige Dinge Konsens gab, am Ende nichts umgesetzt wurde, weil man an den letzten zehn Prozent gescheitert ist“, so Riedl. „Ich appelliere hier und heute an den Herrn Bundespräsidenten, an Minister Sebastian Kurz und an die gesamte Bundesregierung: Lassen Sie uns diese Reform endlich angehen, die Zeit ist reif!“



Ein wesentlicher Teil einer Reform, sagt Riedl, könnte auch die direkte Vertragsfähigkeit für die Gemeinden mit dem Bund und den Ländern sein. „Wir verlieren oft viel Zeit und Kraft, weil alles über 15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern gelöst werden muss, obwohl es eigentlich die Gemeinden betrifft. Es wäre gescheiter, wenn man hier direkte Verträge mit den Gemeinden, respektive den kommunalen Interessensvertretungen, schließt. Das funktioniert ja beim Finanzausgleich genauso

Gegen zweiten Wahltag



In weiterer Folge sprach Riedl einige konkrete Forderungen der Gemeinden an. Eine Wahlrechtsreform mit Verbesserung der Briefwahl und Auszählung aller Stimmen in der Gemeinden ist eine davon. „Was wir mit Sicherheit nicht brauchen, das ist ein zweiter bundesweiter Wahltag“, so Riedl.

Van der Bellen bedauert Abwanderung der Frauen



Bundespräsident Alexander Van der Bellen wies auf die große Bedeutung des Ehrenamtes hin. „Ich erinnere mich gerne an die zahlreichen Dorffeste, die ich voriges Jahr im Lauf des Wahlkampfes besucht habe. Dabei ist mir die Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit bewusst geworden. Und es waren vor allem die Frauen, die sich hier engagieren“, so Van der Bellen. Umso bedauernswerter sei es, dass vor allem junge Frauen aus dem ländlichen Raum abwandern, weil es zu wenige Arbeitsplätze und zu wenig Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt.

 

 

Bundespräsident Alexander Van der Bellen: „Es sind vor allem die Frauen, die sich ehrenamtliche engagieren.“

Kurz: „EU braucht neue Prioritäten“



Außenminister Kurz forderte in seiner Rede, dass die Europäische Union ihre Prioritäten neu setzt. „Wir brauchen keine EU, die die Allergene auf der Speisekarten haben will, sondern eine EU, die ihre Außengrenzen schützen kann. Wenn wir ein Europa ohne Binnengrenzen haben wollen, dann brauchen wir sichere Außengrenzen.“ Wichtig sei es aber auch, die Union in Richtung von mehr Subsidiarität zu entwickeln, damit Europa seine Stärken ausspielen könne. Ein großer Erfolg, so Kurz, wäre es, wenn die EU, die Migrationsfrage lösen könne. „Es braucht mehr Hilfe vor Ort, also etwa in Afrika“, forderte er.



Zum anlaufenden Wahlkampf meinte Kurz: „Egal, wer nach dem 15. Oktober in der Regierung sitzt, es muss der Versuch gemacht werden, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Politik haben.“ Die Bundespolitik können sich dabei von den Gemeinden ein Stück abschneiden.

 

 

Außenminister Sebastian Kurz: „Egal, wer nach dem 15. Oktober in der Regierung sitzt, es muss der Versuch gemacht werden, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Politik haben.“