Erfolgsbeispiele zeigen, wie Gemeinden Energie und damit Geld sparen können.

Das Rad muss nicht neu erfunden werden

15. Mai 2017
Knappe Gemeindekassen, Ressourcenverschwendung, Energiepreiserhöhung, Klimawandel- was haben all diese Themen gemeinsam? Der gemeinsame Nenner ist die Energieeffizienz oder anders ausgedrückt das Energiesparen! Wie kann eine Gemeinde von disruptiven Technologien profitieren?





Daher stellen sich immer mehr Bürgermeister und Gemeindeverantwortliche die Fragen:


  • Wie kann meine Gemeinde energieeffizient werden und damit mittelfristig Geld sparen?

  • Welche Maßnahmen gibt es und wie kann ich sie umsetzen?

  • Wie kann die eigene Bevölkerung eingebunden werden?



Das Modewort unserer Zeit ist disruptiv. Investoren suchen nach Technologien, die gewohnte Businessmodelle auf den Kopf stellen und ganz neue Produkte oder Prozesse ermöglichen. Doch disruptive Technologien gibt es schon lange. In dem visionären Buch „Faktor 4“ wurden bereits im Jahr 1995 fünfzig Beispiele von disruptiven Technologien beschrieben, die im Energie- und Ressourcenbereich mindestens einen Faktor 4 weniger benötigen. Es handelt sich also um Technologien, die nicht 10 oder 20 Prozent weniger Energie einsparen, sondern mindestens 80 Prozent. Entsprechend sinken auch die laufenden Energiekosten auf weniger als 20 Prozent und es ergeben sich gänzlich neue Nutzungsmöglichkeiten- mehr disruptiv geht kaum.



Was sind nun solche Faktor 4 Technologien und was hat das mit Gemeinden zu tun?

Faktor 4 in der Mobilität



Beginnen wir mit der Mobilität, eines der emotionalsten Themen. Wie bei allen Handlungsfeldern gibt es zwei Möglichkeiten Energie massiv einzusparen, durch eine disruptive Technologie oder durch Verhaltens- bzw. Nutzungsänderung.



Eine disruptive Technologie ist das Elektroauto. Während fossil betriebene Fahrzeuge den Großteil der eingesetzten Energie in Wärme und Schall umwandeln und nur ein knappes Viertel in Antriebsenergie umwandeln, nutzt der Elektromotor ca. 90 Prozent der Energie als Antriebsenergie. Zusätzlich ermöglicht ein Elektroauto die Wiedernutzung eines Teils der Bremsenergie. Umsetzungsbeispiele in Gemeinden gibt es mittlerweile zahlreiche. Von der Umstellung des Gemeindefuhrparks auf E-Autos, über das Einrichten von öffentlichen Ladesäulen und speziellen Parkplätzen für E-Autos gehen die möglichen Maßnahmen in einer Gemeinde bis zum E-Carsharing in der e5-Gemeinde Baden.

Best-Practice Baden



„bea - das Badener E-Car-Sharing“ ist eines der erfolgreichsten Mobilitätsprojekte in der e5-Gemeinde Baden. Seit 24 Monaten gibt es ein E-Car-Sharing in Baden, und 41 TeilnehmerInnen haben das umweltfreundliche, leise Auto bereits 1.700 mal gebucht. Dabei wurden über 40.000 km abgasfrei zurückgelegt. Die anhaltende Nachfrage von Bürgerinnen und Bürgern aus Baden und die starke Auslastung von bea, waren Grund genug, 2015 den Fahrzeugpool zu erweitern.






Foto: Klima- und Energiereferat Baden



Foto: Klima- und Energiereferat Baden


Mobilitätsverhalten ändern



Die zweite Möglichkeit im Verkehrsbereich massiv Energie einzusparen ist die Änderung des Mobilitätsverhaltens. Gemeinden können den Umstieg vom PKW auf öffentliche Verkehrsmittel, das Fahrrad oder zu Fuß-gehen fördern.



Ein Best-Practice-Beispiel von vielen kann man in der e5-Gemeinde Dornbirn in Vorarlberg besichtigen. Mit der Renovierung des Dornbirner Bahnhofareals in Zusammenarbeit mit den ÖBB konnte durch eine Vielzahl von Maßnahmen eine regionale Mobilitäts-Drehscheibe für den Umweltverbund errichtet und die Verbesserung der Erreichbarkeit für Fußgänger- und Radverkehr erzielt werden.

Best-Practice Dornbirn



Durch eine Vernetzung von Stadtbus, Landbus und Bahn wurden das ÖV-Angebot gebündelt und optimale Bedingungen, insbesondere für den Pendlerverkehr aus den Umlandgemeinden durch attraktive Umsteigerelationen geschaffen. Neue Unterführungen und Aufzüge sowie das Fahrradparkhaus, die modernen Fahrradboxen und der Fahrradverleih sind gezielte Verbesserungen für Rad- und Fußverkehr. Weiters hat die erfolgreiche Transformation des Bahnhofsareals von einer städtebaulichen Problemzone in ein attraktives Stadtentwicklungsgebiet mit hoher Aufenthaltsqualität durch Sauberkeit und verbesserte Beleuchtung zur konsequenten städtebaulichen Aufwertung des Bahnhofquartiers beigetragen.



Foto: Stadt Dornbirn


Faktor 4 im Wohnbereich



Auch im Wohnbereich gibt es Faktor 4-Technologien. Die wichtigste ist das Passivhaus in klimaaktiv Goldstandard oder das Energieplus-Haus. Hierbei wird der Energiebedarf durch Dämmung um ca. einen Faktor 4 reduziert, wodurch man im Extremfall gar kein konventionelles Heizsystem mehr benötigt. Oder im Falle des Energieplus-Hauses reduziert sich der Heizbedarf so stark, dass man durch Nutzung von solarer Wärme, Solarstrom etc. den gesamten Energiebedarf des Hauses erneuerbar und selbst lokal erzeugt stillen kann. Dies funktioniert sowohl im Neubau als auch in der Sanierung.



Der Gemeinderat der e5-Gemeinde Lebring-St.Margarethen hat sich 2010 zu einer energieeffizienten und ökologischen Sanierung der Volksschule entschieden: durch die Sanierung des Schulgebäudes konnte eine Reduktion des Gesamtenergiebedarfs um 82 Prozent (Faktor 4!) erreicht werden.

Best-Practice Lebring-St. Margarethen



Ziel des Projektes war es, die 1929 erbaute und 1968/1979 erweiterte Volksschule nicht einfach neu zu verputzen, sondern zum Vorzeigeprojekt für eine ganze Region werden zu lassen“. Durch ein innovatives Sanierungskonzept wurde mit Hilfe einer erstklassigen thermischen Sanierung der Gebäudehülle der Heizwärmebedarf um volle 80 Prozent gesenkt. Statt bisher 135 Kilowattstunden (kWh) pro m2 und Jahr braucht man künftig gerade noch 24 Kilowattstunden (kWh). Macht ausgehend von derzeitigen Energiepreisen für die gesamte Volksschule eine Einsparung von rund 10.000 Euro pro Jahr. Im Zuge der Erneuerung wurde ein Pflichtenheft ausgearbeitet, das für alle Beteiligten bindend war. Die Haustechnik - von der Regeltechnik bis zur Lüftung wurde neu gestaltet, die Photovoltaikanlage soll künftig mehr als 38.000 kWh Strom jährlich erzeugen, das ist weit mehr als die Schule selbst verbraucht.



Foto: Planungsbüro Schirnik


Faktor 4 im öffentlichen Bereich



Eine weitere disruptive Technologie ist die LED-Lampe. Auch bei der klassischen Glühbirne wird ähnlich wie beim Verbrennungsmotor ein Großteil der Energie in Wärme umgewandelt, eine extrem teure Form der Heizung, die noch dazu im Sommer kontraproduktiv ist. Die Energiesparlampe hatte noch einige ökologische Nachteile, die LED ist nun die disruptive Technologie, die sich durchsetzt. Ein gutes Beispiel, wie eine Gemeinde dies finanzieren kann, ist die e5-Gemeinde Laa an der Thaya. Hier wechselte man in kurzer Zeit über 1.500 Lichtpunkte auf LED-Technologie. Finanziert wurde eines der größten Bauvorhaben der Stadtgemeinde der vergangenen Jahre mittels Contracting.

Best-Practice Laa an der Thaya



In der e5-Gemeinde Laa an der Thaya und den vier Katastralgemeinden wurde jeder Straßenzug bewertet und mit den optimalen Leuchten inklusive technischer Ausrüstung ausgestattet. Die Umstellung auf LED-Technologie spart pro Jahr 135 Tonnen CO2 sowie 50 bis 60 Prozent Stromkosten. Durch die optimierte Beleuchtungssituation wird zudem die Verkehrssicherheit auf Gehwegen und Straßen erhöht. Die Finanzierung beruht auf Einsparungs-Contracting: Die Kosten für die Investition werden über den zukünftigen Einspareffekt gedeckt. Mit der Umrüstung auf LED wurde ein neues Wartungskonzept mit planbaren Kosten umgesetzt, das in den kommenden Jahren keine größeren Investitionen erwarten lassen.



Foto: Christian Nikodym


Beschaffungsrichtlinien für Faktor 4



Fast immer gilt: Faktor 4-Technologien kosten mehr im Einkauf, man spart aber einen großen Teil der laufenden Kosten ein. Deswegen ist es sinnvoll, die kommunalen Beschaffungsbestimmungen entsprechend anzupassen, sodass höhere Einkaufskosten bei Faktor 4-Technologien ermöglicht werden. Einen generellen Lösungsansatz dazu hat die deutsche Stadt Ulm durchgeführt. Hier wurde der Beschluss gefasst, dass Investitionen immer dann durchgeführt werden, wenn die Amortisationszeit innerhalb der technischen Lebensdauer der Technologie liegt, das heißt man geht weg von der Sichtweise „ Nur was sich schnell rechnet, wird gemacht“ zu einer tatsächlich die gesamte Lebensdauer vergleichenden Sichtweise.

Suffizienz ist die beste Effizienz



Faktor 4 Technologien mit einer Energieeinsparung von 80 Prozent stellen einen großen Fortschritt in der Gemeinde dar. Ist es möglich noch größere Einsparungen zu erzielen und das ohne zusätzliche Investitionen? Ja, durch Suffizienz! Das ist die Vermeidung von unnötigen Bauten oder Anlagen bzw. positiv ausgedrückt das Bestreben Objekte mehrfach zu nutzen. Hier werden 100 Prozent der Ressourcen eingespart und das ohne Investition.



Ein wunderschönes Beispiel für die Kreativität, die es in Gemeinden gibt, ist die e5-Gemeinde Thüringerberg: Hier gab es den Bedarf nach einem zusätzlichen Kindergarten, einem Feuerwehrhaus und außerdem einen Veranstaltungsraum für die Gemeinde. Normalerweise werden dafür 3 Gebäude errichtet und betrieben, die dann jeweils zu großen Teilen des Tages leer stehen. In der Gemeinde Thüringerberg wurde jedoch EIN Gebäude errichtet, welches gleichzeitig als Kindergarten und als Feuerwehrhaus fungiert und auch als Veranstaltungsraum abends genutzt werden kann.

Best-Practice Mehrzweckgebäude Thüringerberg



Im eigens gegründeten Ausschuss Zentrumsgestaltung und in vier weiteren Arbeitsgruppen brachten rund 30 Thüringerberger ihr Fachwissen in die Planung und Umsetzung des Bauvorhabens des Objekts ein. Im Gebäude sind im Erdgeschoß die Ortsfeuerwehr und ein Mehrzweckraum mit ca. 100 m² untergebracht. Der medienmäßig modern ausgestattete Mehrzweckraum dient als Probelokal für verschiedene Chöre, Musikschule, Vorspielabende, Vorträge und Veranstaltungen. Im Obergeschoß sind der Kindergarten mit zwei Gruppenräumen, ein Bewegungsraum sowie die Spielgruppe "Sunnastrahl" und fünf Nebenräume untergebracht.



Foto: Gemeinde Thüringerberg


 Unterstützung für Gemeinden als Umsetzer



Wenn Faktor 4-Technologien aber auch Veränderungen im Nutzerverhalten mittelfristig Geld sparen und Lebensqualität erhöhen können, warum wird das nicht von jeder Gemeinde umgesetzt?



Gründe dafür sind:


  • Es fehlt eine ressortübergreifende Struktur in der Gemeinde, die sich mit diesen Themen beschäftigt.

  • Es fehlt das Experten-Wissen über Spezialthemen und neue Technologien.

  • Es fehlt die Erfahrung, wie etwas umgesetzt werden kann.

  • Es kostet viel Zeit und Ressourcen einen mehrjährigen Prozess in der Gemeinde zu etablieren, mit dem die Themen Energieefizienz und Energiewende vorangetrieben werden können.



Daher die klare Empfehlung: Nicht das Rad neu erfinden! Sondern teilnehmen an einem bestehenden auf Gemeinden spezialisierten Energie- und Klimaschutzprogramm. Das öffentliche e5-Programm als Teil von klimaaktiv, der Klimaschutzinitiative des Umweltministeriums, berät und qualifiziert engagierte Städte und Gemeinden im Bereich Energiewende und Klimaschutz. Ein Netzwerk hoch qualifizierter Beraterinnen und Berater der Bundesländer sowie ein europaweit standardisiertes Bewertungsschema erleichtern es den e5-Gemeinden, in den sechs zentralen Handlungsfeldern:


  1. Gemeindeentwicklungsplanung und Baubewilligung

  2. Gemeindeeigene Gebäude und Anlage

  3. Versorgung & Entsorgung: Energie, Wasser, Abwasser, Abfall

  4. Mobilität

  5. Interne Organisation

  6. Bewusstseinsbildung, Motivation, Kommunikation und Kooperation



 Maßnahmen zu setzen und ihre Fortschritte auch von unabhängigen Expertinnen und Experten bewerten zu lassen.



Ein Energieteam (bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von Verwaltung, Politik sowie engagierten Bürgern und Energieexperten der Gemeinde) zeichnet für die Prozesssteuerung und Programmumsetzung in der e5-Gemeinde verantwortlich. Angelehnt an Qualitätsmanagementsysteme, ist e5 als ein Prozess zu verstehen, in dem systematisch gemeinsam mit regionalen e5-Beratern Schritt für Schritt


  • Schwachstellen aufgedeckt und Verbesserungspotenziale identifiziert werden,

  • eine kontinuierlicher Verbesserungsprozess in Gang gesetzt wird, sowie

  • Strukturen und Abläufe zur erfolgreichen Umsetzung von Energieprojekten aufbaut oder verstärkt werden,

  • die Mitwirkung der Bevölkerung an energiepolitischen Entscheidungen und Aktivitäten ermöglicht wird.


Bürgereinbindung



Die e5-Beraterinnen und -berater unterstützen die Gemeinde auch mit Ideen und Aktionen, wie es gelingen kann, die Bürgerinnen und Bürger am besten einzubinden. Dazu ein anschauliches Projekt der e5-Gemeinde Hittisau mit den Hittisauer Schulen, um durch Änderung des Nutzungsverhaltens beim Lehrkörper und bei den Schülern Energie einzusparen. Ziel des Projekts „Schüler sparen Energie“ war es, ohne nennenswerte investive Maßnahmen und allein durch das bewusste Ändern des Nutzerverhaltens den Energieverbrauch in den Hittisauer Schulen zu senken.

Best-Practice Beispiel Hittisau



Das Ziel des Projekts wurde in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen den Schulerhaltergemeinden und den Direktoren der Schulen festgehalten. Zudem wurde vereinbart, die finanziellen Einsparungen unter den Akteuren aufzuteilen: jeweils ein Drittel erhalten die Schule und der Schulerhalterverband zur freien Verfügung, das restliche Drittel wird in Energieeffizienzmaßnahmen investiert. In allen Klassen wurden „Energiesparbeauftragte“ bestellt. Zu deren Aufgaben zählen u. a. Ablesen und Erfassen der Energiedaten, Ablesen der Raumthermometer und gegebenenfalls Anpassung der Raumtemperatur, ihre Klassenkollegen auf „Energiefresser“ aufmerksam zu machen und mit offenen Augen durch den Schulalltag zu gehen und „Energiefresser“ zu melden.

Das Ergebnis spricht für sich. Im Bereich der Wärmeversorgung (Biomasse aus Hackschnitzel) konnten im Schuljahr 2009/10 gegenüber dem festgelegten Vergleichszeitraum 2007/2008 insgesamt 94.434 kWh an Wärmebedarf eingespart werden. Dies sind 22,8 Prozent Einsparung, und auch beim Stromverbrauch konnten insgesamt 4.755 kWh eingespart werden. Das entspricht einer Einsparung von 7,7 Prozent.



hittisau_energiesparbeuaftragte