Bürgermeisterin Isabella Blaha (Gemeinde Scharnitz, Tirol), Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer, Meinungsforscher Rudolf Bretschneider (GfK Austria), Flüchtlingskoordinator Christian Konrad und Bürgermeister Dieter Posch (Gemeinde Neudörfl, Burgenland).

Flüchtlings-Gemeinden sehen die Situation positiver

17. Juni 2016
In Gemeinden mit Asylwerbern ist die Stimmung gegenüber Flüchtlingen deutlich besser als in jenen ohne. Nun braucht es aber auch unbürokratische Lösungen für die Beschäftigung und den Wohnbau. Das zeigt eine Studie, die zum Thema „Asylbetreuung in Gemeinden“, die der Österreichische Gemeindebund in Auftrag gegeben hat.


Rezept gegen Abwanderung?



Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie: „Wer Flüchtlinge in der Gemeinde aufgenommen hat, ist gelassener, pragmatischer und lösungsorientierter. Viele Gemeinden haben neues Potential an freiwilligem Engagement entdeckt und erhoffen sich durch Zuzug sogar neue Chancen“, sagte Flüchtlingskoordinator Christian Konrad. Für den Meinungsforscher Rudolf Bretschneider, der die Studie erstellt hat, sticht „überraschend deutlich die Hoffnung auf ein längerfristiges Bleiben nach einem positiven Asylbescheid hervor.“ 34 Prozent der Gemeinden erhoffen das – vor allem kleinere Gemeinden.



Gemeindebundpräsident Mödlhammer: „In Abwanderungsgemeinden kann das durchaus ein wichtiges Thema sein, wenngleich immer noch ein großer Teil der Flüchtlinge die Unterbringungsgemeinde nach positivem Abschluss des Asylverfahrens verlässt und in einen Ballungsraum geht.“ Hier klaffen Wünsche und Realität oft auseinander. „Viele Gemeindepolitiker wünschen sich, dass die Menschen bleiben und sich dauerhaft in der Gemeinde integrieren. Sehr oft ist das für die Flüchtlinge aber nicht vorstellbar, weil sie ihre Chancen in Ballungsräumen größer einschätzen.“

Asyl“ ist nur eines von vielen Themen



In der Gesamtpalette von allgemeinen Problemen und Herausforderungen für die Gemeinden rangieren die Themen „Integration anerkannter Flüchtlinge“ in der Mitte (Platz 7 von 15) und die „Betreuung von Asylwerbern“ auf Rang zehn. Die größten Herausforderungen sind die Sozialkosten, Kinderbetreuung, Altenbetreuung und Pflege. „Das ist deshalb interessant, weil die mediale Berichterstattung annehmen lässt, dass es neben dem Flüchtlingsthema kaum noch eine andere politische Herausforderung gibt“, so Mödlhammer. „Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sehen das nicht so. Für sie stehen viele andere Themen ebenfalls im Fokus, unter anderem auch die Sozialkosten, die ungeachtet der Flüchtlingskrise seit Jahren ansteigen, in den letzten Monaten aber natürlich noch einmal viel deutlicher.“



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Persönlicher Kontakt nimmt Vorurteile und Angst



„Begegnung nimmt Angst - und, wenn der Bürgermeister hier vorangeht, folgt ihm auch die Gemeinde!“, weiß Konrad nach neun Monaten im Einsatz als Flüchtlingskoordinator. In der deutlich überwiegenden Zahl der Gemeinden gibt es von der Bevölkerung Mithilfe bei der ehrenamtlichen Versorgung von Flüchtlingen. „Dieses Engagement braucht Wertschätzung, aber auch unterstützende Strukturen in der Gemeinde!“, verweist Konrad auf sinnvolle weitere Schritte.

Kleinere Gemeinden haben Thema im vergangenen Jahr entdeckt



Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern haben in der Regel bereits vor dem Jahr 2015 „Flüchtlingserfahrungen“ gemacht. In kleineren Gemeinden sind erst ab 2015 verstärkt Flüchtlinge aufgenommen worden. In diesen kleineren Gemeinden hat sich, so das Ergebnis der Studie, die Haltung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen deutlich verbessert. „Wer Flüchtlinge aufgenommen hat, wo Begegnung im Ort wahrnehmbar gestaltet wird, wo es entsprechende Vernetzung mit Freiwilligen Flüchtlingshelfer/innen gibt, trägt das zu einer guten Stimmung bei“, meint Meinungsforscher Bretschneider.



Aufnahme von Flüchtlingen vor und nach 2015



In größeren Gemeinden sind die Vorbehalte hingegen gewachsen. Für Konrad eine Bestätigung, dass die größeren Quartiere, die üblicherweise in größeren Gemeinden eröffnet worden sind, zwar kurzfristig Entlastung bei der Unterbringung ermöglicht, langfristig aber andere Herausforderungen mit sich gebracht haben.

Große Quartiere werden abgelehnt



Kleinere Einheiten bei Quartieren für Flüchtlingen finden sowohl bei Gemeinden mit als auch bei jenen ohne Flüchtlinge deutlich mehr Anklang – große Quartiere werden abgelehnt. „Uns zeigt das, dass die Kleinheit der Betreuungseinheiten ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor war und ist“, so Mödlhammer.



Neben der Verfügbarkeit der Quartier-Angebote sei aber auch die dafür nötige Betreuungsstruktur der NGOs ein wichtiger Faktor. Christian Konrad regte deshalb die Einbindung der Erfahrungen von NGOs aus der sogenannten „Mobilen Betreuung“ an. „Hier gibt es schon einige sehr gut funktionierende Modelle, die man sich genau anschauen und in anderen Gemeinden anwenden kann.“

Unterschiede zwischen Gemeinden mit und Gemeinden ohne Flüchtlingen



In 84 Prozent der Gemeinden, die keine Flüchtlinge aufgenommen haben, werden bei der Unterbringung/Beschaffung von Wohnraum für Flüchtlinge Schwierigkeiten geortet. Dieser Wert halbiert sich bei Gemeinden, die bereits Flüchtlinge aufgenommen haben auf 41 Prozent. „In manchen Gemeinden gibt es schlichtweg keine räumlichen Möglichkeiten zur Unterbringung“, sagte Mödlhammer. „Das gilt sicher nicht für alle, die noch keine Menschen aufgenommen haben. Ein gewisses Potential gibt es sicher noch. Quartiernotstand besteht derzeit aber keiner.“



Die Stimmung in der Bevölkerung hat sich seit Aufnahme der Flüchtlinge in weniger als einem Fünftel der Orte verschlechtert, hingegen in doppelt so vielen, nämlich 40 Prozent der Gemeinden verbessert. Ein Drittel verzeichnete keine Veränderung. In der Einschätzung beim Thema Arbeit und Arbeitsplätze für Flüchtlinge gibt es kaum Unterschiede zwischen Gemeinden mit und ohne Flüchtlingen: 68 Prozent der Gemeinden mit Flüchtlingen und 66 Prozent der Gemeinden ohne Flüchtlinge sehen hier Herausforderungen.



Veränderung der Einstellung seit Aufnahme von Flüchtlingen

Berichterstattung oft nicht hilfreich



Die mediale Berichterstattung löst Probleme und Sorgen aus. Das sagen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, in denen Flüchtlinge leben zu 59 Prozent. Diese Schwierigkeiten thematisieren Gemeinden ohne Flüchtlinge zu 42 Prozent und damit deutlich seltener. „Gemeinden mit Flüchtlingen sind stark sensibilisiert in der Diskussion. Schlagzeilen und bruchstückhafte Berichterstattung halten zwar meist dem Realitätscheck durch die Erfahrungen in der jeweiligen Gemeinde nicht Stand, lösen aber energieraubende ‚Rechtfertigungsdiskussionen‘ aus“, so die Erfahrung von Konrad aus seinen Gesprächen mit Freiwilligen.



Größte Herausforderungen_Berichterstattung

Beschäftigungshürden abbauen



Drei Viertel der befragten Gemeindevertreter befürworten den Einsatz von Flüchtlingen für gemeinnützige Tätigkeiten in der Gemeinde. Allerdings werden viele bürokratische Herausforderungen für diesen Einsatz in der Befragung benannt: etwa Entlohnungsgrenzen, Versicherung, gesetzliche Vorgaben und Bürokratie. Deshalb fordert Konrad „ein intensives, schnelles und an der Praxis orientiertes Nachdenken, Entscheiden und Umsetzen – die kommunale Politik braucht hier einen Hürdenabbau!“



Einsatz von Flüchtlingen für gemeinnützige Tätigkeit



Mödlhammer bestätigt: „Der bürokratische Aufwand dafür ist ein Wahnsinn. Viele Gemeinden tun sich das einfach nicht an. So etwas muss deutlich einfacher und auch schneller möglich sein. Die meisten Flüchtlinge wollen ja eine Beschäftigung, die wollen nicht untätig herumsitzen.“



Ein Manko im Asylverfahren wird auch durch diese Studie bestätigt: Viele der befragten Bürgermeister (45%) haben keine Informationen über den Ausbildungsgrad der Flüchtlinge, die in der Gemeinde untergebracht sind. „Dass es im Asylverfahren keinen Kompetenzcheck gibt, halte ich für einen Fehler“, so Konrad. „Bereits bei der Zuteilung in Quartiere sollte hier auf mögliche berufliche Perspektiven und die Integration bei einem positiven Bescheid Rücksicht genommen werden.“



Bereiche für gemeinnützige Tätigkeit

Die wichtigsten Erkenntnisse



Insgesamt ergeben sich für Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer und Flüchtlingskoordinator Christian Konrad einige zentrale Erkenntnisse aus der Studie:


  1. Ohne die Mithilfe der Gemeinden und in hohem Ausmaß der Gemeindebürger/innen wäre die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen schlichtweg nicht möglich.

  2. Die bürokratischen Hindernisse sowohl bei der Unterbringung, als auch bei der Betreuung und gemeinnützigen Beschäftigung sind immer noch zu hoch. Das hat in vielen Fällen zu Verzögerungen gesorgt.

  3. Derzeit gibt es keinen Quartiernotstand. Es stehen ausreichend viele Quartiere bereit, derzeit sind 8.000 bis 9.000 Plätze mehr verfügbar, als aktuell gebraucht werden.

  4. In kleineren Gemeinden war anfänglich die Skepsis größer, dort hat sich die Stimmungslage verbessert bzw. stabilisiert. In größeren Städten und Gemeinden ist die anfänglich größere Euphorie nun einer gewissen Ernüchterung gewichen.

  5. Unterbringung und Integration funktionieren in kleinen Einheiten besser als in großen. Das ist eine zentrale Erkenntnis, gerade auch im Hinblick auf künftige Herausforderungen.

  6. Arbeitsmarkt, Sozialkosten und Ausbildungsmöglichkeiten sind die essentiellen Aufgaben, wenn es um die Integration geht. Gemeinnützige Tätigkeit ist ein wichtiger Schritt, um den Menschen den Zugang zur Arbeit zur Gewohnheit zu machen.

  7. Pragmatische, unaufgeregte Zugänge zu diesem Thema sind von großer Bedeutung, vor allem auch, wenn es um die Einstellung der Bevölkerung geht. Hier haben auch die Medien eine gewisse Verantwortung.



In den Bundesländern gibt es zum Teil große Schwankungen in der Einstellung der Bevölkerung zu diesem Thema. In der Steiermark und Kärnten ist die Stimmungslage besonders schlecht. In Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich deutlich besser.



Einstellung nach Bundesländern