Es ist zu befürchten, dass Menschen schneller ins Pflegeheim gehen, weil sie sich die Pflege zu Hause weitgehend selbst zahlen müssten.
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Pflegeregress-Aus: Gemeinden wollen Geld vom Bund

12. Februar 2018
Im Juni 2017 hat der Nationalrat die Abschaffung des Pflegeregresses beschlossen. Damit können die Bundesländer seit 1. Jänner 2018 nicht mehr auf das Vermögen von Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, zurückgreifen, um die Pflege zu finanzieren. Gleiches gilt für das Vermögen von Angehörigen und Erben. Die Pflegekosten müssen allerdings zu einem hohen Anteil von Ländern und Gemeinden aufgebracht werden und belasten die kommunalen Haushalte enorm. Die Gemeinden wollen daher deutlich mehr Geld vom Bund, um die Mehrausgaben zu kompensieren.





In Oberösterreich, der Steiermark – und in geringerem Ausmaß in Kärnten – übernehmen Sozialhilfeverbände (als Gemeindeverbände organisiert) auch unmittelbar die Leistungserbringung. In allen anderen Bundesländern müssen die Gemeinden die Pflege über die Sozialhilfeumlagen zumindest kofinanzieren.

Ausgaben für Soziales steigen seit Jahren



Die Bruttoausgaben der Länder und Gemeinden für die Langzeitpflege betragen aktuell rund 3,5 Milliarden Euro. Rund 40 Prozent davon (etwa 1,5 Mrd. Euro) stammen aus privaten Eigenleistungen wie etwa Pensionen, Beiträge oder Ersätze. Die Netto-Ausgaben von rund 2 Milliarden Euro teilen sich die Länder und Gemeinden nach dem jeweiligen Sozialhilfegesetz auf, häufig 50:50.



Der Bereich der sozialen Wohlfahrt, der neben der Pflege vor allem auch die Mindestsicherung, die Jugendfürsorge und die Behindertenhilfe umfasst, gehört seit vielen Jahren zu den am stärksten steigenden Ausgabenbereichen in den kommunalen Budgets.

Experte Mazal: "Menschen werden schneller ins Pflegeheim gehen"



„Das Gesetz über die Abschaffung des Pflegeregresses wirft viele Fragen auf. Dies kann zu jahrelanger Rechtsunsicherheit führen, wenn nicht umgehend eine Novelle erfolgt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich durch die Abschaffung des Vermögensregresses der Anteil der Menschen, die sich die Pflege selbst finanzieren, abnehmen wird und gleichzeitig Menschen schneller ins Pflegeheim gehen, weil sie sich die Pflege zu Hause ja weitgehend selbst zahlen müssten“, betont der Sozial- und Arbeitsrechtsexperte Univ.-Prof. Wolfgang Mazal.

Zugesagte 100 Millionen decken nur Bruchteil der Kosten



„Wir wehren uns nicht gegen die sozialpolitische Dimension dieser Maßnahme. Der Bund hat aber durch diese Ho-Ruck-Aktion ohne Übergangsfristen und Begleitmaßnahmen ein funktionierendes Versorgungs- und Finanzierungssystem über Nacht kaputt gemacht. Dass die Länder und Gemeinden nun dafür die Zeche zahlen sollen, das sehe ich nicht ein. Die zugesagten 100 Millionen Euro werden nur einen Bruchteil der zu erwartenden Kosten abdecken und bringen den Stabilitätspakt in Gefahr“, warnt Gemeindebund-Chef Riedl. Die unmittelbaren Folgekosten sind mindestens doppelt so hoch. „Darin sind aber noch nicht die Folgeeffekte wie ein größerer Andrang in den Pflegeheimen und der daraus resultierende Ausbaubedarf eingerechnet“, so Riedl.



Allein für Oberösterreich rechnen Land und Gemeindebund mit Mehrkosten von 71 Millionen Euro. Vom Bund sind derzeit aber nur 16,7 Millionen Euro als Kostenersatz vorgesehen.



„Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Zielvorgaben im Stabilitätspakt immer eingehalten und diszipliniert gewirtschaftet. Das obwohl uns von Bund und Ländern bereits in der Vergangenheit Aufgaben übertragen, aber nicht vollständig abgegolten wurden. Nun ist das Maß voll“, Gemeindebund-Vizepräsident Rupert Dworak.



Diese Aufgaben fallen in den sogenannten „grauen“ Finanzausgleich. So wurden die Kosten bei der Einführung des ersten kostenlosen Pflichtkindergartenjahrs nicht vollständig abgegolten, beim Ausbau der Kleinkindbetreuung gab es nur Anschubfinanzierungen, die Ausgaben im Bereich Gesundheit und Pflege sind enorm gestiegen, im Bereich der ganztägigen Schulformen musste das Personal bereitgestellt werden und in allen Bereichen der Betreuung und Pflege gab es enorme Steigerungen in den Qualitätsansprüchen. So müssen die Gemeinden beispielsweise Zusatzkosten von rund 100 Millionen Euro jährlich alleine stemmen, wenn die Anschubfinanzierung für den Ausbau ganztägiger Schulformen 2025 endet.

Konjunktur ist nicht in den Gemeindebudgets angekommen



„2016 konnten wir den Stabilitätspakt noch einhalten. Für 2017 bereiten mir die ersten Rückmeldungen eher Anlass zur Sorge“, sagt Riedl. Durch die jüngste Steuerreform sind die Ertragsanteile eher verhalten gestiegen. Die gute Konjunktur ist daher nicht in den Gemeindebudgets angekommen.



Sehr wohl angekommen sind aber die Steigerungen bei vielen unserer Ausgaben, auf die Gemeinden keinen Einfluss haben – vor allem im Gesundheits- und Sozialbereich.



„Wollen wir 2018 ausgeglichen budgetieren, müssen wir andere Ausgaben zum Beispiel in der Erhaltung und Modernisierung der kommunalen Infrastruktur oder beim Ausbau der Kinderbetreuung streichen. Schon in der Finanzkrise mussten wir bei den Ermessensausgaben auf die Bremse steigen. Werden aber Straßen nicht rechtzeitig saniert oder Investitionen in die Wasserversorgung aufgeschoben, wird es am Ende noch teurer.“

1.500 Gemeinden beschlossen Resolutionen



In den letzten Monaten haben auf Aufruf des Gemeindebundes über 1.150 Gemeinden Resolutionen beschlossen, um die Regierung aufzufordern, die tatsächlichen Mehrkosten durch den Wegfall des Pflegeregresses abzugelten.



„Das ist ein lauter Ruf, den die Regierung nicht überhören sollte. Wir haben mobilisiert und gezeigt, dass wir wie in der Vergangenheit mit einer Stimme sprechen. Wenn es um die Sache geht, ist die Parteizugehörigkeit nicht wichtig“, mahnen die Gemeindebund-Spitzen.



Riedl:  „Seit 1. Jänner müssen die Länder und Gemeinden die steigenden Kosten tragen. Darum fordere ich die Regierung auf, sich schnellstens um einen Ersatz der tatsächlichen Kosten zu kümmern. Denn wer anschafft, der soll auch zahlen“, so Riedl.

Mindestsicherung: Ausgaben um 62 Prozent gestiegen



„Mit den Überlegungen, die Notstandshilfe in die Mindestsicherung zu geben, rollt gleich die nächste Kostenlawine auf uns zu“, so Riedl verärgert. Gerade in der Mindestsicherung sind die Kosten in den letzten Jahren explodiert. Die Zahl der Bezieher hat sich von 2012 bis 2016 um fast 40 Prozent erhöht. Die Ausgaben sind im selben Zeitraum sogar um 62 Prozent (von 571,3 Millionen Euro auf 927,2 Millionen gewachsen. Auch hier steuern die Gemeinden 30 bis 50 Prozent der Kosten bei.



„Ich halte den Plan der Bundesregierung, Notstandshilfe und Mindestsicherung in ein kohärentes System zu bringen, für richtig. Folgerichtig wird daher der Aufwand für die Mindestsicherung, soweit er aus dieser Systemumstellung resultiert, letztlich vom Bund zu tragen sein“, sagt Mazal.