KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun im Gespräch mit Vincent Schneider und Martin Spitzer.

Negativzinsen: Handlungsbedarf für Gemeinden?

In Sachen Zinsgleitklauseln und negativer Refinanzierungszinssatz hat sich mit der OGH-Entscheidungen zu Konsumentenkrediten für Gemeinden einiges getan. KOMMUNAL hat über mögliche weitere Vorgehensweisen der Gemeinden recherchiert und mit zweien der renommiertesten Experten auf diesem Gebiet gesprochen: Dem Universitätsprofessor Martin Spitzer von der WU Wien und dem Rechtsanwalt Vincent Schneider.

Seit der globalen Finanzkrise kommt die Bankenwelt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Täuscht der Eindruck oder muss sich die Branche in immer kürzeren Intervallen auf neue Herausforderungen einstellen?



Martin Spitzer: Das ist einerseits sicher Konsequenz der Finanzkrise, andererseits sind Bankgeschäfte nun einmal kompliziert. Das war immer schon so, Anfang der 2000er-Jahre gab es schon einmal eine Klagswelle wegen unwirksamer Zinsgleitklauseln. Die heutigen Auseinandersetzungen sind auch nicht schlimmer als der damalige „Zinsenstreit“.



„Zinsenstreit“ ist auch das Stichwort für eine Entwicklung, die die Gemeinden derzeit sehr beschäftigt, nämlich Negativzinsen. Worum geht es da eigentlich genau und ist das für Sie schon ein Thema gewesen?



VIncent Schneider: Das ist absolut ein Thema. Viele öffentliche und private Kreditnehmer beschäftigen sich intensiv mit dem Thema und holen dazu Rat ein. Die Zahl der Anfragen steigt, die Unsicherheit ist hoch. Das liegt daran, dass Negativzinsen schwer zu verstehen sind, weil das Thema nicht intuitiv ist. Wir sind eine Welt gewohnt, in der der Sparer Zinsen bekommt und der Kreditnehmer Zinsen bezahlt. In beiden Fällen sind diese Zinsen ein Entgelt für die Zurverfügungstellung von Kapital.



Spitzer: Das Konzept der Negativzinsen dreht alles um: Der Sparer soll etwas dafür bezahlen, dass er Geld auf die Bank legen darf, die Bank etwas dafür bezahlen, dass sie einen Kredit gewähren darf. Das findet wirklich statt, die EZB fordert Zinsen, wenn Banken Geld bei ihr hinterlegen.



Und was hat das mit Kreditverträgen zu tun?



Schneider: Beim klassischen Kreditvertrag mit variablem Zinssatz wird ein Zinssatz ausgemacht, der die Summe mehrerer Faktoren ist. Üblich ist die Vereinbarung eines Referenzzinssatzes, zum Beispiel des EURIBOR, und eines Aufschlages (Marge) darauf, also zum Beispiel EURIBOR + 0,6 Prozent. Vor der Finanzkrise lag der EURIBOR teilweise so um die plus drei Prozent, 2015 ist er erstmals negativ geworden, derzeit liegt er bei ca. minus 0,3 Prozent. Die Frage ist, was das für den Zinssatz im konkreten Kredit heißt. Ergibt -0,3 plus 0,6 Aufschlag einen Zinssatz von 0,3, wie das mathematisch richtig ist? Und wenn der EURIBOR noch weiter abrutscht, kann der Gesamtzinssatz dann unter Null gehen? Oder könnte es sein, dass der Zinssatz bei 0,6 bleibt, weil negative Referenzzinssätze nicht zu berücksichtigen sind?



Gibt es schon erste Antworten der Gerichte?



Spitzer: Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich bisher nur mit dem Verbraucherkredit beschäftigt. Das zentrale Ergebnis war: Wir wenden eine mathematische Berechnung an, es kann aber nicht unter Null gehen. Ein negativer Referenzzinssatz führt also zu einem Kreditzins, der unter dem Aufschlag liegt, der Kreditnehmer bekommt aber nie Zinsen von der Bank, weil das dem Wesen des Kreditvertrages widerspricht.



Sind diese Urteile auch auf Darlehen von Gemeinden anzuwenden oder bedarf es hier gesonderter Entscheidungen des OGH?



Schneider: Gemeinden sind Unternehmer, in den Genuss des Verbraucherschutzes kommen sie daher nicht. Es sind aber nicht alle Argumente des OGH spezifisch verbraucherrechtlich. Das Höchstgericht verlangt auch bei Unternehmern, dass Zinsgleitklauseln in beide Richtungen gleiten können. Dass es nicht unter Null gehen kann, wird bei Unternehmern im Regelfall voraussichtlich nicht anders sein. Die Frage bleibt, ob immer mindestens der Aufschlag verlangt werden kann, ob also hier – anders als beim Verbraucher – gilt: -0,3 + 0,6 = 0,6. Eine Entscheidung des OGH gibt es dazu bisher nicht.



Wie könnte eine solche Entscheidung des OGH zum Darlehen eines Unternehmens oder einer Gemeinde aussehen?



Schneider: Das lässt sich nicht mit der Sicherheit sagen, die man als Bürgermeister gerne hätte. Die Diskussion dazu ist noch im Gang.



Wie sieht es mit den Verjährungsfristen für mögliche Ansprüche gegen Banken aus?



Spitzer: Das Verjährungsthema ist natürlich wichtig und leider auch sehr kompliziert, weil es so viele Ausgestaltungen von Kreditverträgen gibt.



Zum Beispiel Annuitäten, also pauschale Raten, mit denen Kapital und Zinsen abbezahlt werden, oder gemeine Raten, mit denen eine gleichmäßige Kapitaltilgung und die Zinsenzahlung getrennt erfolgen. Bei den Annuitäten können sich Zinsänderungen wiederum verschieden auswirken. Entweder die Raten bleiben gleich, aber die Laufzeit ändert sich, oder die Laufzeit bleibt gleich und die Raten schwanken.



Schneider: Bei Annuitäten spricht viel dafür, dass die Bereicherung erst in der Überzahlungsphase eintritt, davor könnte dann keine Verjährung beginnen, bei gemeinen Raten könnte dasselbe gelten. Dazu gibt es aber nur Andeutungen des OGH und keine gesicherte Rechtsprechung. Auch an Schadenersatz wäre zu denken, der verjährt wieder nach ganz anderen Regeln, nämlich binnen drei Jahren ab Kenntnis von Schaden und Schädiger.



Was sollen Gemeindeverantwortliche bei einer so komplizierten Rechtslage tun, um sich nicht später dem Vorwurf der Untreue oder Schadenersatzansprüchen ausgesetzt zu sehen?



Spitzer: Jedenfalls besteht kein Grund zur Panik. Wenn es ein gutes Gesprächsklima mit der Bank gibt, ist es sinnvoll, das Thema anzusprechen und wenn möglich einen Verjährungsverzicht der Bank einzuholen, etwa bis sich die Rechtsprechung des OGH geklärt hat. So vermeidet man unnötige Prozesse mit unnötigen Kostenrisiken. Es wäre auch denkbar, eine neue Vereinbarung zu schließen, also eine Art Vergleich, um die Unsicherheit zu bereinigen, die ja auf Bankenseite in selber Weise besteht.



Schneider: Gelingt das nicht, heißt das aber nicht, dass man auf Teufel komm raus zu Gericht muss. Die Anforderung an Entscheidungsträger nach der sogenannten Business Judgment Rule ist, dass sie nach angemessener Information eine Entscheidung zum Wohle ihres Rechtsträgers treffen, ohne sich durch sachfremde Interessen leiten zu lassen. Wer diese Spielregeln einhält, muss nichts befürchten, wobei das alles gut dokumentiert werden sollte.



Spitzer: Nehmen Sie also am besten gleich eine Kopie dieses Interviews zum Akt.



Schneider: Tatsächlich ist der erste wichtige Schritt, dass man sich informiert, und deshalb ist diese Information im KOMMUNAL sinnvoll und wichtig. Für die Entscheidung, ob man bei fehlender Gesprächsbereitschaft des Kreditgebers letztlich prozessiert, spielen dann verschiedene Faktoren eine Rolle: Wie sicher ist mein Rechtsstandpunkt? Wie groß ist der lukrierbare Vorteil?



Oft geht es auf Grund der günstigen Kreditkonditionen bei Gemeinden nicht um sehr hohe Beträge, denen aber erhebliche Risiken gegenüberstehen. Nicht nur das Risiko des Prozessverlusts, sondern auch, dass die oft sehr vielschichtige Beziehung zur Hausbank gefährdet wird. Externer Rat ist sinnvoll, wenn die Lage zu unübersichtlich wird.



Es geht also auch um eine Verhältnismäßigkeit der Mittel?



Schneider: Selbstverständlich. Auch mit verhältnismäßig geringem Aufwand können die Gemeindeorgane hier ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Ein erster Schritt sollte das Durchsehen der bestehenden Verträge sein. Ergeben sich daraus mögliche Ansprüche, könnte ein zweiter das Herantreten an die Bank (oder auch Leasinggesellschaft) sein, um einen Verjährungsverzicht zu vereinbaren, bis der OGH auch für Unternehmen und Gemeinden Klarheit geschaffen hat.

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